Edinburgh – von seiner schönen Seite

Da es nichts bringt, wegen des Motorraddiebstahls traurig vor dem Zelt zu hocken, beschließen wir, die Stadt zu besichtigen. Eine gute Entscheidung!

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Vor dem Zelt – wieder unter uns – überlegen Marvin und ich, wie wir nun weiter vorgehen sollen. Ziemlich schnell wird klar, dass keiner von uns beiden die Reise jetzt noch fortsetzen möchte. Jedenfalls nicht mit einem Mietauto. Ich würde bei dem Anblick anderer Motorradfahrer bloss in Traurigkeit und Wut versinken, zudem traue ich mir den Umgang mit einem rechtsgelenkten Auto nicht zu – und dass es auch Miet-Motorräder gegeben hätte, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht .

Also beschließen wir, die Tour hier abzubrechen. Ich führe ein paar Telefonate mit meinem Schutzbrief-Versicherer sowie der Fährgesellschaft. Kurz darauf steht fest, dass wir übermorgen wieder mit der Fähre zurück „auf den Kontinent“ reisen werden – mit nur noch einem Motorrad, dafür aber in einer größeren Kabine. Die Leute von der Versicherung haben uns zugesagt, dass sie für einen Teil der Kosten meiner Rückreise und den Versand des nun überschüssigen Gepäcks aufkommen werden. Und Paul, der kurz darauf noch einmal zu uns kommt, verspricht uns, eine Versandmöglichkeit in Erfahrung zu bringen. Somit ist erst einmal das Wichtigste geregelt.

Alles erledigt – und jetzt ab in die Stadt

Wir frühstücken eine Kleinigkeit (viel bekommen wir beide nicht herunter) und machen anschließend das, was wir laut Plan heute sowieso gemacht hätten: Wir besichtigen Edinburgh.

An der Rezeption bekommen wir für günstiges Geld zwei Tageskarten für den öffentlichen Verkehr. Das Prinzip, nach dem diese funktionieren, ist simpel: Man rubbelt einfach das entsprechende Datum frei und zeigt die Karte dann beim Einsteigen dem Fahrer. In der Nähe des Campingplatzes befindet sich auch gleich die Haltestelle für eine Buslinie, die uns direkt bis in die Innenstadt bringt.

Die Fahrt ist angenehm entspannend, und als wir an der Princes Street aussteigen, freuen wir uns richtig auf die Erkundung der Innenstadt. Wir marschieren ein Stück durch den Park unterhalb der Altstadt und genießen die angenehme Luft und die Bewegung. Gut für den Stressabbau!

Hoch hinauf – zur High Street

Viele Treppen und kleine, steile Wege führen hinauf zur High Street. Unter den Häusern der Altstadt findet man auch immer wieder mittelalterlich-düstere Tunnel. Sehenswert!

Da heute – wie gesagt – Sonntag ist, noch dazu gutes Wetter und Hauptsaison, brodelt es in der Innenstadt vor Leben. Das ist schön und lenkt uns für eine ganze Weile von unseren Problemen ab.

In der Altstadt angekommen begrüßt uns ein digitales Schild fröhlich mit „Welcome World“ und in der großen Kirche dahinter finden wir – kaum zu glauben – statt Kerzen und Altar ein sehr weltliches Cafè. Aber mit göttlichem Schokoladenkuchen 😉

Ausgeruht und satt lenken wir unsere Schritte zuerst auf der High Street nach Westen, Richtung Edinburgh Castle.

Vor dem Schloss sind die Tribünen für das diesjährige Military Tattoo aufgebaut. Wir haben vor ein paar Wochen zwei Karten dafür ergattern können, doch die können wir jetzt wohl nur noch verschenken. So lange bleiben wir nämlich nicht mehr in Schottland…

Der Eintritt für die Besichtigung des Schlosses selbst ist uns zu teuer (16,50 Pfund pro Person) und reizt uns auch nicht allzu sehr. Mittelalter sieht man hier auch so mehr als genug ;-).

Daher drehen wir um und entdecken sogleich die Scotch Whisky Experience. Eigentlich hatten wir ja vor, auf unserer Tour eine Destillery zu besuchen – aber nachdem das ja nun nicht stattfindet, spielen wir kurz mit dem Gedanken, ob wir nicht stattdessen in diese Ausstellung gehen sollen. 24 Pfund Eintritt pro Person helfen uns jedoch, schnell zu einer Entscheidung zu kommen. Wir verzichten!

In den dazugehörigen Shop kann man aber auch ohne Eintritt gelangen, also stürmen wir hinein. Vielleicht finden wir ja ein paar kleine Mitbringsel? Schnell jedoch merken wir, dass die (uns bekannten) Whiskysorten in den Regalen allesamt deutlich teurer sind als bei uns daheim im Supermarkt. Irgendwie ist diese ganze Ecke hier nicht unbedingt etwas für unseren Geldbeutel!

Vielleicht liegt es ja auch daran, dass der Verlust meines Motorrades noch zu frisch ist, als dass wir allzu freigiebig sein wollen. Wir verlassen jedenfalls auch diesen Laden, ohne Geld ausgegeben zu haben, und marschieren nun nach Osten – dorthin, wo die High Street in die Royal Mile übergeht.

Hinab zur Royal Mile

Schausteller, Musikanten, Einheimische und Touristen bilden hier eine bunte und außerordentlich interessante Mischung. Immer wieder hört man das typische Pfeifen der Dudelsäcke, aber auch irische und andere Musikrichtungen kommen nicht zu kurz. Allein schon diese vielfältige Soundkulisse sorgt für ein grandioses Flair!

Hinzu kommen die unterschiedlichsten weiteren Angebote: Ein „typisch schottischer“ Laden reiht sich an den nächsten – sonntags geöffnet, klar – und verschiedene Kleinst-Attraktionen buhlen um die Aufmerksamkeit (und das Geld) der Vorbeigehenden. Wir können uns kaum sattsehen, so viel ist geboten.

Hier findet man auch den Eingang zu The Real Mary King’s Close. Wir versuchen unser Glück, doch leider ist die Tour bis zum Abend ausgebucht. Nun, so lange wollen wir nicht warten, also genießen wir lieber noch ein wenig den Trubel um uns herum und wandern einfach weiter.

Sogar eine Weltrekordhalterin (Elaine Davidson, meistgepiercte Frau der Welt) präsentiert sich hier, doch ehe wir ihr nicht zwei Pfund in die Hand gedrückt haben (die Höhe der Gabe ist einem selbst überlassen, ich denke, mit einem Pfund wäre sie auch zufrieden gewesen), verhindert sie mit ihrem regebogenfarbenen Schirm geschickt, fotografiert zu werden.

Danach jedoch ist sie sehr freundlich und lustig – und mit Marvin möchte sie gleich zweimal fotografiert werden, weil er ihr – wie sie sagt – so gut gefällt. Kann ich verstehen 😉

Eine gute Nachricht

Am Nachmittag werden wir langsam müde – und ein wenig traurig, weil uns bewusst wird, wie schön diese Reise noch hätte werden können. Also beschließen wir, zum Campingplatz zurückzukehren. Dort erwartet uns ein aufgeregter Paul, der uns zum Kofferraum seines Autos winkt. Strahlend vor Freude drückt er uns meine beiden Motorradkoffer in die Arme, die er im Garten eines angrenzenden Grundstückes ausfindig gemacht hat. Was für eine schöne Überraschung!

Vor diesen Schlössern haben die Diebe offensichtlich kapituliert, denn die Koffer sind nach wie vor verschlossen und der Inhalt vollständig vorhanden. Wunderbar! Allerdings sind die Kofferhalterungen teilweise verbogen, die Koffer wurden offensichtlich mit roher Gewalt von den Kofferträgern gerissen und dann über den Zaun geworfen. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken, was sie mit meinem Motorrad sonst noch alles angestellt haben.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Telefonaten mit der Familie sowie mit genauen Planungen für die Heimreise. Paul hat inzwischen in Erfahrung gebracht, dass der Versand des Gepäcks via ParcelForce wohl die beste Variante wäre. UPS wäre viel zu teuer, zumal ja nun auch noch das nicht unerhebliche Gewicht meiner beiden Koffer hinzukommt. (Jetzt, als ich diesen Bericht schreibe, denke ich mir: Hätte ich doch lieber mehr bezahlt … denn derzeit ist der Großteil unseres versendeten Gepäcks noch immer verschollen und wir streiten gerade mit der Versicherung von ParcelForce wegen einer Entschädigung – aber das ist eine andere Geschichte).

Doppelt gesichert in die Nacht

Wir verabreden uns mit Paul für den nächsten Morgen, er will uns mit seinem Auto und dem zu verschickenden Gepäck zur Post fahren. Wie nett die Leute hier alle sind! Das ist eine der trotz alledem sehr zahlreichen positiven Erinnerungen, die wir aus diesem Urlaub mitnehmen werden.

Inzwischen ist es Abend geworden und die Erschöpfung nach diesem langen und ereignisreichen Tag macht sich bemerkbar. Wir schaffen es zum Abendessen gerade noch in das Campingplatz-Pub, danach schlafen wir beide ziemlich schnell ein – aber nicht ohne Marvins BMW noch nahe ans Zelt gestellt und mit der riesigen Stahlkette, die Paul uns organisiert hat, gesichert zu haben. Dieses Motorrad wird man uns nicht auch noch wegnehmen!