An diesem Morgen verzichten wir auf das reichhaltige Frühstücksbuffet im Campingplatzrestaurant – mit allzu vollem Magen fährt es sich nicht so gut – sondern begnügen uns asketisch mit Schokocroissants, Keksen und Tütenkaffee vor dem Zelt.
Gleich im Anschluss tuckern wir los. Heute wollen wir endlich die kroatische Grenze überfahren und bis in die Nähe von Plitvice kommen. Wir wissen nicht, wie die Strecke sein wird, erwarten allerdings auch nichts. Knapp fünf Stunden Landstraße, die zuerst durch slowenisches, anschließend durch kroatisches Hinterland führt … was soll da schon groß sein.
Landschaft mit Nachdenkfaktor
Die ersten Kilometer sind tatsächlich nicht allzu spektakulär. Schön zu fahren, guter Straßenbelag, angenehme Umgebung – aber nicht viel anders, als wir den etwas flacheren Teil Sloveniens vorgestern schon wahrgenommen haben. Entspannt düsen wir vor uns hin und unterhalten uns via Interkom über Gott und die Welt.
Nach einer Weile jedoch verändert sich die Landschaft, langsam, fast schon unmerklich. Sie wird noch ein bisschen weiter, die Dörfer seltener und die Straßen kleiner und enger. Alles bekommt etwas Wildes, Unnahbares, beinahe schon Düsteres. Unsere Gespräche verstummen, als uns bewusst wird, dass wir schon seit geraumer Zeit keinem anderen Fahrzeug mehr begegnet sind. Dafür finden sich am Straßenrand immer häufiger verfallene Häuser, an deren Wänden sich eigenartige Löcher befinden. Zuerst rätseln wir, was das sein könnte, doch dann kommen wir drauf: Einschusslöcher.
Mit einem Mal wird uns klar, dass wir uns anscheinend mitten in einem der ehemaligen Kampfgebiete des noch gar nicht so lange zurückliegenden Balkankrieges befinden. Marvin ist dafür zwar noch etwas zu jung, aber ich kann mich noch gut an die schrecklichen Bilder und Nachrichten von damals erinnern. Hier, direkt an oder auf dieser Straße, haben vor nicht allzu vielen Jahren Menschen gekämpft und gelitten, sind gestorben oder haben selbst getötet.
Es ist schwer zu beschreiben, was einem bei so einer Erkenntnis durch den Kopf geht. Ich empfinde diese verwaiste Landschaft voller sichtbarer Spuren von einstigem Verlust und vergangener Gewalt als extrem bedrückend. Gleichzeitig führt mir diese Umgebung aber auch vor Augen, was für ein behütetes und sorgloses Leben wir eigentlich führen, wie privilegiert wir doch sind. Und wie wichtig eine friedvolle, hilfsbereite und aufgeschlossene Gesellschaft für dieses Leben ist und nicht aufs Spiel gesetzt werden sollte.
Als vor uns endlich wieder eine bewohnt wirkende Ansiedlung auftaucht, atmen wir erleichtert auf – und legen auch gleich einen Zwischenstopp bei kühler Cola ein. Bloss weg mit solch schwermütigen Gedanken! Trotzdem hängen mir diese Eindrücke noch eine ganze Weile nach und ich betrachte die Umgebung fortan mit etwas anderen Augen.
Eine echte Grenze
Bald nach der Pause erreichen wir die slovenisch-kroatische Grenze, wo wir gänzlich unerwartet eine richtige Passkontrolle über uns ergehen lassen müssen. Erst nach ausgiebiger Musterung sowohl unserer Papiere als auch von uns selbst – mit angemessen strenger Miene – lassen die Zollbeamten uns passieren. Marvin und ich machen uns zwar hinterher ein bisschen darüber lustig, aber der ernste Hintergrund ist uns durchaus bewusst. Von vertrauensvoller Nachbarschaft zwischen Slovenien und Kroatien zeugt das nämlich nicht gerade.
Wir schauen, dass wir von der Grenze wegkommen und nehmen uns vor, zuhause einmal etwas mehr über den Balkankrieg nachzulesen. Kroatien ist eines der beliebtesten Urlaubsländer der Deutschen und schließlich dieses Jahr auch unser Hauptziel – trotzdem wissen wir über dessen Vergangenheit beschämend wenig.
Nach einer kurzen Weile kehrt unsere gute wieder Laune zurück. Die Sonne scheint freundlich und die Umgebung wirkt zunehmend belebter. Leider trifft das „zunehmend belebter“ auch auf die Straßen zu, weshalb wir uns immer häufiger zwischen eh schon schnellen Lastwagen vor uns und noch schnelleren, drängelnden PKWs hinter uns wiederfinden. Hektischer als uns eigentlich lieb ist düsen wir so unserem heutigen Ziel entgegen: Camping Korana, knapp 9 km vor dem Nationalpark Plitvice. Es gibt wohl noch einen weiteren Campingplatz näher am Park, doch der dortige Besitzer scheint – wenn man den Google-Rezensionen glauben kann – leicht psychopatische Züge zu haben, weshalb wir uns doch lieber für Korana entschieden haben.
Lager im Grünen
Der Campingplatz ist riesig und mit allem Schnickschnack ausgestattet – genau wie wir es mögen. Die Einfahrt wird von einem leicht einschüchternden Terminal überspannt, aber die Dame am Schalter begrüßt uns professionell herzlich, nimmt uns unsere Personalausweise ab, drückt uns eine Nummerntafel für das Zelt sowie einiges an Infomaterial in die Hand und winkt uns durch. Das war’s, mehr Check-In-Formalitäten gibt es nicht. Den Platz dürfen wir frei wählen und für welchen wir uns letztendlich entscheiden, interessiert die Dame nicht. Anscheinend ist noch nie ein Camper verloren gegangen 🙂
Gleich beim ersten Durchfahren stellen wir fest, dass Zeltbewohner hier eindeutig im Vorteil sind. Der Campingplatz erinnert nämlich ein wenig an einen bewaldeten Golfplatz, mit vielen grasigen Mulden, in die größere Camper oder Gespanne nicht einfahren können (jedenfalls nicht, wenn sie auch wieder herauskommen wollen). Diesen Gefährten bleiben die Ränder der durch das Gelände führenden Straßen vorbehalten, wir Zelter können jedoch aus dem Vollen schöpfen und uns hinstellen, wo wir wollen.
Zumindest theoretisch. Denn da wir vom Strom abhängig sind und dieses Jahr ein etwas knapp bemessenes Kabel dabei haben (5 Meter haben nach mehr geklungen, als sie effektiv sind), schränkt es unsere Auswahl doch wieder etwas ein. Der tendenziell matschige Untergrund in den Mulden macht uns zudem misstrauisch. Das kenne ich noch aus Norwegen, bei Regen steht das dann alles unter Wasser!
Nach ein wenig Suchen finden wir aber doch einen idealen Platz auf einem kleinen Hügel mit Stromanschluss in erreichbarer Nähe. Sofort machen wir uns dort breit, stellen das Zelt auf, zerren noch eine Holzbank aus der Nähe davor, erklären sie für die Zeit unseres Aufenthaltes zu unserem Privateigentum und vollenden die Wagenburg, indem wir die Motorräder strategisch günstig um uns herum verteilen. So ist es schön, finden wir!
Vorsicht, Hitzkopf!
Nachdem wir unser Lager errichtet haben, brauche ich erst einmal eine Dusche. Die Sanitärgebäude sind sehr sauber und modern ausgestattet. Auf den Dächern befinden sich Solarkollektoren – und wie heiß das Wasser dadurch werden kann, muss ich schmerzhaft erfahren, als ich beim Duschen aus Versehen mit dem Ellbogen gegen den Heißwasserhebel komme und mir fast den Kopf verbrühe, ehe ich in Sicherheit springen kann. Holla, so heiß habe ich es noch nie auf einem Campingplatz erlebt. Ich habe ja keine Ahnung von Sicherheitsbestimmungen bei Sanitären, aber hier ist echt eine Warnung angebracht. Meine Kopfhaut ist noch eine Stunde später krebsrot … und ja, ich weiß – das Wort „hirnverbrannt“ kommt mir in dem Zusammenhang auch in den Sinn. Haha, wie lustig.
Als ich endlich aus der Dusche zurück bin, ist es schon später Nachmittag. Viel gibt es heute nicht mehr zu tun, also packen wir unsere Rucksäcke und marschieren zum Essen. Bedingt durch die Weitläufigkeit des Geländes sind wir dafür schon einige Minuten unterwegs. Der Campingplatz bietet dann aber auch gleich mehrere Möglichkeiten zur Einkehr, nämlich eine Art Sport-Bar mit Snacks, einen Burger-Grill sowie ein riesiges normales Restaurant. Wir entscheiden uns für das normale Restaurant. Es ist offensichtlich, dass hier alles auf Massenbetrieb ausgelegt ist, allerdings ist es momentan – dank der noch herrschenden Vorsaison – noch nicht allzu überlaufen. Die Essensqualität ist zwar nicht überragend, etwas teurer als üblich ist es ebenfalls, aber beides hält sich noch im Rahmen. Passt also. Wir schlagen uns den Bauch voll und freuen uns auf morgen. Da geht es nämlich in den Park!
Routenüberblick
Datum: 18. Juni 2018
Schwierigkeitsgrad: mittel – zeitweilig schlechter Straßenbelag
Länge: 220 km, ca. 4,5 h Fahrzeit (Kleckerstrecke)
Eindrücke: die zerstörten Häuser machen nachdenklich