Unser erster vollständiger Fahrtag in Norwegen beginnt mit Regen – was uns zunächst befürchten lässt, die negativen Vorhersagen unserer Freunde und Bekannten („Ja, seid ihr denn verrückt, mit dem Motorrad nach Skandinavien? Da regnet es doch ununterbrochen!“) könnten womöglich der Wahrheit entsprechen. Doch wie wir beim Frühstück in der Campingplatzküche von einem ebenfalls dort sitzenden Radfahrer-Paar aus Deutschland erfahren, ist lediglich für den heutigen Tag Regen angesagt. Danach soll die momentan in Deutschland herrschende Hitzewelle endlich auch Norwegen erreichen und bis auf weiteres stabiles Hochdruckwetter herrschen – sehr schön!
Gutgelaunt packen wir daher in einer kurzen Regenpause unsere Sachen und machen uns gegen 10 Uhr voller Vorfreude auf den Weg. Geplant ist, entlang der Küste bis hoch nach Sandnes zu fahren, das liegt kurz unter Stavanger.
Über Flekkefjord und die Küstenstraße 44
Wir hatten überlegt, vielleicht auch noch einen Abstecher zum Leuchtturm bei Lindesnes zu machen, aber wegen des schlechten Wetters entscheiden wir uns doch lieber dafür, gleich die Schnellstraße E30 Richtung Norden zu nehmen. So kommen wir recht flott bis kurz vor Flekkefjord – und erhaschen dabei unseren ersten Blick auf einen echten Fjord: wolkenverhangen und noch nicht allzu beeindruckend, aber immerhin! Leider regnet es gerade wieder etwas stärker, so dass wir auf eine Fotopause verzichten.
Kurz vor der Ortschaft Flekkefjord verlassen wir die Schnellstraße und biegen ab auf die Küstenstraße 44. Früher war das die Hauptverbindungsstrecke Richtung Norden, aber heute fährt kaum noch jemand diese vergleichsweise unbequeme Strecke. Umso besser für uns, denn sofort sind wir quasi alleine auf der Straße, nur noch selten begegnen wir einem anderen Fahrzeug.
Weil nun aber diese Straße nicht mehr ganz so wichtig ist wie früher, wird sie auch nicht mehr ganz so intensiv gepflegt. Der Straßenbelag hat hin und wieder Risse, an manchen (auch steileren) Stücken fehlt die Seitenbegrenzung und mit Verschmutzungen ist ebenfalls jederzeit zu rechnen. Auf weiten Teilen ist daher die Fahrgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt – und man sollte sich auch tunlichst daran halten. Nicht nur wegen des unsicheren Straßenzustandes, sondern auch wegen der horrenden Strafen, die bei einer Übertretung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drohen (siehe auch unseren Artikel zu diesem Thema).
Uns stört das alles nicht und wir wollen sowieso nicht schneller fahren, denn es gibt viel zu viel zu bestaunen. Die Straße schlängelt sich mal direkt an der Küste entlang und erlaubt tolle Blicke über das Meer und die Schären, dann wieder führt sie etwas ins Landesinnere, hindurch durch urtümliche Mischwälder, vorbei an kleinen, unglaublich idyllischen Seen und sanft abgeschliffenen, aber doch massiv und ein wenig unheimlich wirkenden Felsformationen.
Der Nieselregen und die damit verbundene etwas niedrigere Sichtweite gibt uns zusätzlich noch das Gefühl, fast allein auf dieser Welt zu sein. Doch selbst in dieser menschenleer wirkenden Gegend finden wir, als es notwendig wird, eine Automatentankstelle (unbemannt und nur eine Zapfsäule), die unsere Kreditkarte (mit PIN!) problemlos akzeptiert. Mit vollgetankten Mopeds cruisen wir kurz darauf weiter durch die wunderschöne Landschaft.
Helleren – Häuser unter dem Fels
Kurz nach der kleinen Ortschaft Jossingfjord entdecken wir am Ende einer sehr engen Bucht ein paar winzige Häuschen, einen Parkplatz und mehrere Leute. Neugierig geworden stellen wir unsere Motorräder ab – eine Pause kann sowieso nicht schaden, das Fahren auf den schmalen Straßen strengt doch an – und marschieren zu den kleinen Gebäuden, die sich beim Näherkommen als ein Waffelkiosk und ein kleiner Souvenirladen entpuppen.
Begeistert bestellen wir uns je einen Kaffee und eine frischgebackene Waffel und finden dann auch heraus, was hier, in dieser Einöde, so interessant ist: Helleren. Dabei handelt es sich um zwei (verlassene) Holzhäuser, die unter einem stark überhängenden Felsen stehen, und zwar schon seit mehreren Jahrhunderten. Zu Fuß ist es nicht allzu weit und wir erkunden diesen letzten Rest einer älteren Besiedelung. Die Besichtigung ist interessant und völlig kostenlos, auch in das Innere der beiden Häuser kann man gehen und die doch recht ungewöhnliche Atmosphäre in sich aufnehmen.
Ausgeruht nach dieser Pause fahren wir weiter und bei Egersund – einer kleinen, sehr hübschen Hafenstadt – kommt sogar mal für eine kurze Zeit die Sonne heraus. Gleich danach wird die Landschaft weitläufiger, es gibt weniger Wälder, dafür mehr grüne Wiesen, Schafe und Steinmauern. Irgendwie erinnert uns das an Bilder, die wir von Irland und Schottland gesehen haben. Auch sehr hübsch!
Bald biegt die Straße ab ins Landesinnere, Richtung Bryne, und die Gegend wird noch etwas flacher. Wir durchqueren riesige Felder, eindeutig ein stark landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Ein Gewitter mit sehr starkem Regen zwischen Bryne und Sandnes hindert uns leider daran, viel von der Umgebung wahrzunehmen, gegen 17 Uhr erreichen wir schließlich unseren Übernachtungsplatz, Camping Volstadtkogen.
Sverd i fjell – Die Schwerter im Fels
Eigentlich bin ich schon recht erschöpft, aber noch ist keine Zeit für den Feierabend. Schnell bauen wir unser Zelt auf, dann geht es schon wieder weiter – zu unserem letzten Ziel für heute: den Schwertern im Fels. Diese riesigen Metallschwerter sind erst knapp über 30 Jahre alt, aber nichtsdestotrotz enorm beeindruckend. Vom Campingplatz aus erreichen wir sie über die Schnellstraße in weniger als einer Viertelstunde. Auch das Wetter hat Erbarmen mit uns und schenkt uns eine halbstündige Regenpause für unsere Besichtigung. Na, das klappt ja alles bestens!
Zurück auf dem Campingplatz sind wir dann aber doch froh, endlich die nassen Klamotten ausziehen und uns minutenlang unter die heiße Dusche stellen zu können. Müde schlurfen Marvin und ich gerade zurück zum Zelt, als uns siedend heiß einfällt, dass wir keine Vorräte mehr haben. Und dass heute Samstag ist. Und die Läden in ca. 20 Minuten schließen werden…
Nun, einen olympiareifen Sprint in Flip-Flops später (zum Anziehen besserer Schuhe war keine Zeit mehr) und dank der dolmetscherischen Hilfe eines Norwegers, der seinen Hund spazieren geführt hat, sowie zweier norwegischer Schulmädchen, die uns bis vor die Tür gebracht haben, schaffen wir es schließlich doch noch, ganz kurz vor Ladenschluss in einen Supermarkt zu hecheln und für unser Abendessen einzukaufen.
In dieser Nacht habe ich sehr, sehr gut geschlafen ;-).
Routenüberblick
Datum: 27. Juni 2015
Schwierigkeitsgrad: mittel – die Küstenstraße ist schmal und teilweise in schlechtem Zustand
Dauer: 210 km, 3h 40min
Eindrücke: ein grandioser Einstieg in die Landschaftswunder Norwegens