Bergen bis Gol – Quer über die Hardangervidda

Perfektes Wetter, grandiose Fjordufer, gigantische Tunnel und zuletzt die überwältigende Hardanger Hochebene - ein Tag der Superlative!

2x
geteilt

„Holla, das sieht ja gleich ganz anders aus!“, entfährt es mir, als Marvin und ich nicht lange nach unserem frühmorgendlichen Aufbruch in Espeland erneut den Hardanger Fjord erreichen. Denn im Gegensatz zu unserer Herfahrt vor zwei Tagen ist es heute trocken und nur mäßig bewölkt – was die Aussicht gleich merklich verbessert.

Glücklich darüber, dass uns das Wetter weiterhin wohlgesonnen ist, folgen wir der Straße Nr. 7, die sich am nördlichen Rand des Fjords entlangschlängelt. Der Straßenzustand ist zumeist gut, der Ausblick herrlich und der Verkehr mäßig. Hin und wieder bremsen Baustellen uns etwas aus, aber ansonsten kommen wir flott voran.

Trotzdem kann ich das alles nicht so entspannt genießen, ich bin ein wenig nervös. Liegt heute doch der Höhepunkt unserer Skandinavien-Tour vor uns: die Hardangervidda.

„Höhepunkt“ gleich im doppelten Wortsinn, denn zum einen gilt diese Hochebene landschaftlich als ganz besonders reizvoll, zum anderen ist sie aber aufgrund ihrer Höhe – im Mittel zwischen 1.200 und 1.400 m – mitunter auch problematisch zu befahren. Das mag jetzt nicht besonders spektakulär klingen, doch will man das z.B. mit den Alpen vergleichen, so muss man hierfür die Höhenmeter verdoppeln (wegen der nördlichen Lage), kommt also auf 2.400 bis 2.800 (Alpen-)Meter. Das ist gleich deutlich einschüchternder. Dieses Jahr soll die Hardangervidda zudem Anfang Juni wegen Schneefall noch gesperrt gewesen sein – und ich sitze nun auf meinem Motorrad und hoffe inständig, dass die seither herrschenden Temperaturen ausgereicht haben, um uns die Überquerung zu ermöglichen…

Neuer Tunnel, neue Brücke, neue Straße

Bis Eide fahren wir direkt am Fjord entlang, dann – nach einer kurzen Pause – erreichen wir den ersten imposanten Streckenabschnitt: Den Vallaviktunnelen. 7,5 Kilometer lang führt dieser sehr gut beleuchtete Tunnel quer durch den Berg, so richtig verblüfft sind wir jedoch, als wir – noch im Tunnel, wohlgemerkt – auf einen Kreisverkehr stoßen. Ein Kreisverkehr. Im Tunnel. Wahnsinn! Durch seine bläuliche Beleuchtung wirkt die Mittelsäule noch dazu befremdlich futuristisch, als ob ein Raumschiff mitten im Berg gelandet wäre (siehe Wikipedia-Link).

Wir haben uns noch gar nicht so recht davon erholt, da geht es auch schon weiter: wo früher eine Fähre die Strecke verkürzt hat, überspannt nun – direkt nach dem Tunnel – eine riesige Brücke einen der Seitenarme des Hardangerfjords. Hier wird besonders anschaulich klar, warum teilweise so hohe Mautgebühren verlangt werden (von den anderen – höhö).

Auf neu geteerter Straße geht es nun weiter bis nach Eidfjord, das direkt am östlichsten Arm des Hardanger Fjords liegt. Hier befindet sich die letzte Tankstelle vor der Hardangervidda – worauf man auf dem Weg dorthin durch zig Schilder auch ständig hingewiesen wird.

Das Symbol zur Infobox

77 km keine Tankstelle mehr

In Eidfjord steht die letzte Tankstelle vor der Hardangervidda. Weil viele diese Möglichkeit nutzen, gibt es gerne mal Schlangen an den Zapfsäulen – daher empfiehlt es sich, den Tank ggf. ein paar Ortschaften früher zu füllen. Auf der Hochebene selbst gibt es keine Tankstellen. Die nächste steht erst 77 km weiter östlich, kurz vor Gol – eine Automatentankstelle, die rund um die Uhr funktioniert.

Wir haben noch genug im Tank und fahren daher gleich weiter. Meine Nervosität steigt analog zur Meereshöhe der Straße, welche sich durch einige Serpentinen und eine erkleckliche Anzahl von Tunneln nach oben schraubt. Was wird uns am Ende erwarten? Werden wir ohne Polarausrüstung durchkommen? Oder kläglich erfrieren und irgendwann – wie Ötzi – ausgegraben werden?

Auf der Hardangervidda

Nach dem letzten Tunnel schließlich haben wir sie erreicht, die berühmte Hardangervidda. Und prompt verschlägt es uns die Sprache. Nicht wegen etwaiger Schneemassen, sondern aufgrund der überwältigenden Schönheit dieser Landschaft! Schnee liegt zwar auch, doch nur am Straßenrand. Erfrieren werden wir ebenfalls nicht – Marvins Bordthermometer zeigt selbst am kältesten Punkt der Strecke immer noch 6 Grad Plus an – und der Himmel leuchtet in fast wolkenlosem Blau.

Sofort wird mir klar, dass all meine Sorge vollkommen überflüssig war – und die Nervosität weicht einer ungeheuren Begeisterung. Wir brauchen für die Überquerung der Hardangervidda ziemlich lang. Nicht, weil die Straße schlecht wäre (im Gegenteil, die Straßendecke ist über fast die gesamte Streckenlänge hinweg neu), sondern weil wir alle fünf Minuten am Straßenrand stehenbleiben, uns wie kleine Kinder an der Umgebung freuen und wie wild Fotos knipsen. Sogar einen Steinturm für die Ewigkeit baut Marvin für uns 🙂

Erschöpft, aber in absoluter Hochstimmung, erreichen wir letztendlich doch noch den östlichen Rand der Hochebene. Auf schnurgerader Straße geht es hinunter ins Tal, die Hitzewelle überrollt uns jetzt endgültig und wir geraten kräftig ins Schwitzen.

Bei Mittelmeertemperaturen erreichen wir schließlich am Spätnachmittag unseren heutigen Rastplatz, das Gol Campingsenter. Dieser sehr gut ausgestattete Platz überrascht uns gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen ist er sehr günstig (mit 180 NOK – etwas über 20 Euro – und kostenlosem Duschen der billigste Platz bisher in Norwegen), zum anderen hat das angeschlossene Restaurant bezahlbares Essen! Für umgerechnet nicht einmal 10 Euro pro Gericht schlagen wir uns den Bauch voll – und faulenzen anschließend satt, entspannt und glücklich in den warmen Sonnenuntergang hinein …

Routenüberblick

Datum: 1. Juli 2015
Schwierigkeitsgrad: einfach, sämtliche Straßen gut ausgebaut, Straßendecke sehr gut
Dauer: 274 km, ca. 5h reine Fahrzeit – zusätzlich viel Zeit für Fotopausen einrechnen^^
Eindrücke: ein atemberaubend schönes Gebiet – mein Favorit auf unserer Tour