Büsum – Stürmische Zeiten

An der Nordseeküste werden wir so richtig durchgeblasen - aber der Wind gehört nun mal zum Meer, stört uns daher nicht! Ratlos bin ich eher wegen der Beliebtheit dieses Ortes, erscheint er mir doch ziemlich unspektakulär. Doch schlussendlich lüften wir sein Geheimnis...

2x
geteilt

Unsere ursprüngliche Routenplanung sollte uns heute nach Sylt führen. Die Insel ist mit dem Motorrad allerdings nicht gerade einfach zu erreichen: Der normale „blaue Autozug“ ist nicht für Motorräder ausgelegt, also bleibt entweder der Shuttlezug der DB, auf dem auch Motorräder mitgenommen werden (was ohne Vorbuchung möglich sein soll), oder aber der Umweg nach Dänemark, über die Dammstraße zur Insel Rømø und von dort mit einer Fähre zum Ziel. Da wir hierbei gleichzeitig Sylt von Nord nach Süd befahren, also auch viel von der Insellandschaft mitbekommen würden, hatten wir diese zweite Variante angepeilt.

Leider ist für die nächsten Tage jedoch schlechtes Wetter angesagt – Sturm, Regen und eine deutliche Abkühlung. Der Campingplatz, den wir uns auf Sylt ausgesucht haben, liegt an der Südspitze der Insel, bei Hornum, im relativen Nirgendwo. Auch dort stellt man das Zelt auf Dünen bzw. Sand auf, was uns in der Planungsphase sehr gut gefallen hat. Bei stürmischem und gleichzeitig nassem Wetter stellen wir uns das allerdings alles andere als wildromantisch vor. Eher matschig.

Sylt fliegt raus

Zusammen mit der umständlichen Anreise fliegt Sylt somit kurzerhand aus unserer Tourenplanung und wir fahren heute direkt zu unserem übernächsten Ziel, nämlich Büsum. Durch diese Tourenänderung verkürzt sich unsere Fahrstrecke auf unspektakuläre 80 km. Entsprechend früh kommen wir am Ziel an und dürfen unser Zelt an einem hübschen, durch Hecken zumindest teilweise windgeschützten Platz auf dem Campingplatz Nordsee aufstellen.

Laut Website liegt dieser Platz direkt hinter dem Deich an der Familienlagune. Den Deich können wir sehen, was wir uns aber unter einer „Familienlagune“ vorstellen sollen, ist uns noch nicht so ganz klar. Das Rätsel löst sich, sobald wir nach einem kleinen Mittagssnack ebenjenen Deich erklimmen. Zusammen mit einem weiteren Deich umschließt er nämlich eine Art künstlichen Binnensee. Hier verschwindet das Wasser auch bei Ebbe nie völlig, wodurch vielfältige Wassersportarten (Kiten, Windsurfen, Stand-up Paddeling oder Tretboot fahren) den ganzen Tag möglich sind. Trotz des starken Windes, der uns fast vom Deich weht, ist diese „Lagune“ rege besucht, sogar im graublauen Wasser tummeln sich einige Unerschrockene. Mir wird schon beim Zuschauen kalt und ich weigere mich, auch nur einen Fuß ins Meer zu stecken.

Nachdem wir nun das Lagunenrätsel gelöst haben, geht es zu einer ersten Begutachtung weiter nach Büsum. Das eigentliche Sightseeing haben wir uns für morgen vorgenommen, aber einen groben Überblick wollen wir heute schon gewinnen. Zudem müssen wir ein paar Lebensmittel einkaufen und natürlich nach einer Möglichkeit fürs Abendessen suchen.

Über den Deichweg in die Stadt

Der Deichweg am Nordseeufer entlang ist zwar exponiert angelegt, bietet jedoch nur wenig schöne Aussicht. Auf der einen Seite das heute eher schmutzig-graue Meer, auf der anderen eine der „Attraktionen“ Büsums, das (vermutlich) höchste Gebäude der Nordseeküste, das Büsumer Hochhaus. Ich bin wenig begeistert. Aber wer weiß, was noch kommt.

Kurz darauf erreichen wir das Freizeitzentrum Watt’n Hus, ein moderner, recht hübscher Gebäudekomplex, der diverse Restaurants, eine Touristeninfo, ein Kino usw. beherbergt. Der Stil ist zwar weit von dem kuschlig-maritimen Charme der mir bekannten Orte an der benachbarten Ostsee entfernt, aber trotzdem nett. Wir gucken uns hier ein wenig um und biegen dann nach links ab, landeinwärts. Nach nur wenigen Metern stoßen wir auf eine Einkaufsstraße, in der ganz offensichtlich der Bär tobt (bzw. eine buntgemischte Touristenhorde). Es gibt unzählige Restaurants, Süßigkeitenläden, Softeisdielen, Souvenirläden, Klamottengeschäfte und so weiter. Wir schließen uns dem kaufwütigen Mob an, plündern den Lakritzladen, erstehen einige Souvenirs, ich kaufe mir eine schrill-grün-bunte Sweatjacke (die nach dem Urlaub in meinem Schrank verschwindet und bis heute nicht mehr rausgeholt wird) und zum Abschluss gönnen wir uns noch zwei fette Softeis-Portionen.

Nachdem der Kaufrausch verflogen ist, grummel ich erneut vor mich hin. Schon arg touristisch hier. Allerdings darf man vom drittgrößten Fremdenverkehrsort an der Nordseeküste auch nichts anderes erwarten. Trotzdem frage ich mich, WARUM dieser Ort so beliebt ist. Marvin wundert sich über mein wiederkehrendes Genörgel, ihm gefällt es. Aber ich hatte irgendwie mehr erwartet, ohne genau benennen zu können, was eigentlich. Nun, vielleicht bringen wir ja morgen in Erfahrung, worin der geheime Zauber Büsums besteht. Heute marschieren wir nur noch zurück zum Campingplatz, kaufen auf dem Weg ein bisschen was ein, vergammeln den Rest des Nachmittages gemütlich im Zelt und werden anschließend im (vorher ausgespähten) nahegelegenen Restaurant „Zur Perle“ mit mittelmäßigem, lieblos zubereitetem, aber immerhin billigem Essen massenabgefertigt (sogar selbst abholen muss man sich seine Teller). Trotzdem ist der Laden rappelvoll. Na, das passt ja zu meinem bisherigen Gesamtbild…

Der zweite Versuch

Am nächsten Morgen versöhnen uns die extrem leckeren Croissants, die ich am (nur morgens geöffneten) Bäckerstand auf dem benachbarten Campingplatz kaufen kann. Erwartungsvoll marschieren wir erneut über den Deichweg in die Innenstadt, auf der Suche nach den Büsumer Attraktionen. Wir besuchen den Leuchtturm (enttäuschend klein), den Ankerplatz samt Anker (nun ja … ein Anker halt), den Hafen (ganz nett), die Fischerkirche (ganz hübsch) und landen schließlich wieder am Rande der Einkaufsstraße. Scheinbar war es das.

Desillusioniert erreichen wir eine halbe Stunde später das Watt’n Hus, wo wir in einem vorher entdeckten italienischen Restaurant zu Abend essen wollen. Dabei fällt unser Blick auf’s Meer und wir entdecken etwas vom Ufer entfernt – es herrscht gerade Ebbe – eine ominöse Menschenansammlung. Weil wir noch etwas Zeit haben ehe der Italiener öffnet, gehen wir neugierig in diese Richtung. Um die Menschengruppe jedoch genauer in Augenschein nehmen zu können, müssen auch wir hinauf auf’s Watt.

Der Zauber der Nordsee

Wir ziehen also unsere Sandalen aus und machen ein paar vorsichtige Schritte, in der Erwartung, dass unsere Füße gleich im matschig-kalten Untergrund einsinken werden. Die Wahrheit überrumpelt mich völlig: Statt eklig matschig ist das Watt fest und weich zugleich, es fühlt sich unglaublich angenehm an den Füßen an. Die dünne Wasserschicht darüber umschmeichelt die Füße mit wohliger Wärme. Ich stelle fest, dass es einen Heidenspaß macht, hier barfuß zu laufen, und wusel wie eine Wilde völlig verzaubert umher. Verblüfft bleibe ich nach einer Weile stehen und sehe mich um. DAS ist es also, der Reiz der Nordsee, das Geheimnis, nachdem ich gesucht hatte. Ich stehe mitten auf dem Watt, inzwischen schon recht weit weg vom Ufer, die Füße angenehm gewärmt vom weichen Sand, der Blick geht auf die scheinbar endlose See, die Möwen kreischen, die Sonne scheint, der Wind weht mir die Haare um die Nase und ich fühle mich so voller Kraft und Leben – es ist einfach nur schön. Warum nur habe ich das nicht schon viel früher gesehen?

Ich atme tief durch und brauche ein wenig, um mich aus meiner Verwunderung zu lösen und mich wieder unserem ursprünglichen Ziel, der eigenartigen Menschengruppe, zuzuwenden. Schnell finden wir heraus, dass es sich um die gerade startende Wattwanderung mit Musik handelt, bei der die Wandernden von der örtlichen Kurkapelle begleitet werden. Gerne würden wir mitmachen, sind jedoch überhaupt nicht vorbereitet. Wir haben keine Ahnung, wie lange man läuft, ob und wo wir am Ziel etwas zu essen bekommen würden und wie wir wieder zurück nach Büsum kommen. Schweren Herzens verzichten wir also auf die Wanderung und gehen stattdessen, wie geplant, essen.

Doch jetzt nehme ich mir fest vor, sollte es mich erneut an die Nordsee verschlagen, so werde ich mich besser vorbereiten und alles mitmachen, was hier so geboten ist – mindestens eine Wattwanderung, eine Krabbenkutterfahrt und ein Ausflug zu den Halligen. Und nach Sylt möchte ich auch unbedingt, egal, wie umständlich die Anreise sein mag! Er hat mich also doch noch eingefangen, der Zauber der Nordsee.

Routenüberblick

Datum: 30. Juni bis 1. Juli 2019
Schwierigkeitsgrad: simpel
Länge: ca. 1,5 h
Eindrücke: flach … und windig