Heute morgen ist Marvin schon wieder erstaunlich munter. Zwar noch etwas blass um die Nase und sicherlich auch noch nicht voll belastbar, aber das Fieber ist wie weggeblasen und der Strich auf dem Corona-Testkit schon deutlich weniger rot als noch vor eineinhalb Tagen. Verblüffend! Und erfreulich, lässt es doch hoffen, dass wir unsere Reise vielleicht doch wie geplant fortsetzen können.
Zuerst mit Masken ausrüsten …
Gleichzeitig ist er so voller Unternehmungslust, dass ich seinem Drängen nachgebe und wir uns einen Ausflug zu einem Schrein in der unmittelbaren Umgebung vornehmen. Aber erst wird ausführlich gefrühstückt und geduscht. Anschließend wollen wir uns mit frischen Masken versorgen und stellen dabei fest, dass wir kaum noch welche haben. Also biegen wir nach dem Verlassen des Hotels noch schnell in unseren Lieblings-Konbini ab und kaufen einige nach. Masken gibt es hier in Japan in so ziemlich jedem Laden und in unzähligen Qualitätsstufen, Schnitten und Farben. Hier ist es eben schon lange selbstverständlich, andere vor den eigenen Krankheitskeimen zu schützen. In Deutschland können wir auf solch einen Grad der gegenseitigen Rücksichtnahme wohl noch eine Weile warten – leider.
Die bei uns etablierten Bezeichnungen „FFP2“ oder „FFP3“ suchen wir vergebens, aber anhand der auf jeder Verpackung angegebenen prozentuellen Filterrate finden wir mithilfe der Foto-Übersetzungs-Funktion der Deepl-App (man fotografiert direkt aus der App heraus z.B. die Verpackung mit dem zu übersetzenden Text und kann dann in Ruhe jeden Satz nachlesen) nach einer Weile diejenigen, die den höchsten Virenschutz bieten. Hier schlagen wir zu und kaufen gleich mehrere Fünfer-Packs, teuer sind sie auch nicht. Schnell stelle ich fest, dass sie noch dazu viel bequemer zu tragen sind als die bei uns bekannten Typen.
… und dann weiter zum Hie-Schrein
Anschließend marschieren wir weiter zum nur 300 Meter nördlich gelegenen Hie-Schrein. Auf dem Weg dorthin beobachte ich Marvin ganz genau, aber bis auf periodische Schweißausbrüche zeigt er keinerlei Krankheitszeichen mehr. Der Schweiß wiederum kann genausogut von der noch immer herrschenden Hitze kommen.
Trotzdem achte ich darauf, dass er sich nicht übernimmt (Männer neigen dazu und wären ohne uns Frauen vollkommen hilflos). So bestehe ich zum Beispiel darauf, dass er keinesfalls die Treppe zu dem auf einem Hügel gelegenen Schrein, sondern die danebenliegende Rolltreppe benutzt, und halte ihm auf derselben in regelmäßigen Abständen eine Wasserflasche hin.
Erst mit etwas Verzögerung wird mir bewusst, dass es hier Rolltreppen im Freien gibt. Einfach so, um die Steigung zu erleichtern. Hui!
Oben angekommen erkunden wir das Tempelgelände ausführlich. Wirklich hübsch, alles etwas kleiner und beschaulicher als der Riesen-Tempel in Asakusa, auch deutlich weniger besucht. Das macht die Atmosphäre stiller und friedlicher, man spürt sehr viel mehr von der hier praktizierten Spiritualität.
In einem Nebengebäude entdecken wir einen Gläubigen beim Gebet. Leise ziehen wir uns zurück und warten, bis er das Haus verlassen hat, ehe wir es besichtigen. Ich fremdschäme mich immer sehr, wenn gleichgültige Touristengruppen durch für andere heilige Stätten marodieren, daher bemühen wir uns grundsätzlich um größtmöglichen Respekt und hoffen, dass wir nicht allzu oft aus Versehen irgendwelche Grenzen überschreiten und Gefühle verletzen.
Unsere erste Torii-Treppe
Neu für uns sind die Torii-Wege, hier in diesem Fall eine Treppe, die mit dicht beieinanderstehenden roten Toriis überspannt ist. Offensichtlich ist sie auch bei den Einheimischen ein beliebtes Fotomotiv, denn wir beobachten eine junge Familie, Mutter und Tochter in wunderschöne Kimonos gekleidet, der Vater wie wild am fotografieren.
Wir warten eine Fotopause ab, ehe wir uns unter vielfachem Entschuldigen und Verbeugen an dem Paar und seiner süßen Tochter vorbeizwängen und die Treppe gemütlich nach unten steigen. Ein wirklich schöner kleiner Tempel mit sehr chilligem Flair. Eine weite Anreise lohnt sich vermutlich nicht, aber wenn man sowieso in der Nähe ist, ist ein Besuch auf alle Fälle zu empfehlen.
Ein Ziel geht noch
Wieder zurück im Hotel untersuche ich Marvin akribisch auf Anzeichen von neu aufflammender Krankheit, aber er wirkt immer noch fit und viel zu munter. Also gebe ich erneut nach und „erlaube“ ihm, dass er online für den frühen Abend zwei Besichtigungstickets für das oberste Stockwerk des Tokyo Towers reserviert, die sogenannte Top Deck Tour. Der Turm ist ebenfalls nicht weit von unserem Hotel entfernt (etwas über einen Kilometer, diesmal in südlicher Richtung), so dass es ihn wohl nicht überanstrengen wird. Zudem haben wir bis dahin noch etwas Zeit und nutzen sie für eine ausgiebigen Pause.
Ausgeruht wandern wir los. Allein der Weg dorthin ist schon großartig, die vielfältige und unglaublich kreative Architektur Tokyos wechselt sich ab mit schattigen kleinen Parks zwischen den Riesengebäuden, immer wieder durchbrochen von interessant gestalteten Durchgängen und – auch hier – Rolltreppen im Freien. Tokyo ist fantastisch! Die wenigen größeren Straßen, die wir überqueren, sind erneut nur mäßig befahren, der Verkehr zurückhaltend, alle wirken sehr entspannt. Ich weiß bereits jetzt, dass ich das nach meiner Rückkehr vermissen werde.
Tokyo Tower Top Deck Tour
Tokyo Tower bleibt für uns unsichtbar, bis wir fast direkt davor stehen. Und das, obwohl er mit 332,6 Metern einer der höchsten, aus Stahl bestehenden selbsttragenden Türme der Welt ist. Aber die Gebäude rundherum sind halt auch keine Winzigkeiten.
Vor dem Eingang ist etwas mehr los, aber trotzdem ist es nicht so überfüllt, wie man es von manchen Sehenswürdigkeiten anderswo kennt. Kein Vergleich zu seinem überlaufenen Vorbild in Paris, das wir vor einigen Jahren besucht haben. Wir machen an einem etwas versteckten Platz vor dem Tower eine kleine Pause und trinken in Ruhe etwas. Hier draußen können wir die Masken abnehmen, drinnen sind uns dafür zu viele Menschen.
Im Turm selbst geht es zuerst einmal mit dem Aufzug auf das sogenannte Main Deck in 150 m Höhe. Da wir Top Deck-Kartenbesitzer sind, dürfen wir dafür einen eigenen Aufzug nutzen. Ob das einen Unterschied zum „normalen“ Aufzug macht, kann ich nicht beurteilen. Die Besichtigung des Main Decks alleine kostet 900 Yen (ca. 5 Euro), bucht man – wie wir – Main Deck plus Top Deck gemeinsam, kommt man auf 3000 Yen (ca. 17 Euro) pro Person.
Auf dem Main Deck angekommen, knipsen wir in alle Richtungen unzählige Fotos. Die Aussicht ist wirklich fantastisch! Da wir absichtlich die Zeit gewählt haben, zu der die Sonne untergeht, kommen wir in den Genuss wirklich schöner Farbstimmungen.
Am sogenannten Top Deck-Gate fahren wir an dem von uns gebuchten Zeitfenster noch einmal ein gutes Stück höher, auf atemberaubende 250 m Höhe. Dieses Stockwerk ist deutlich kleiner und ich muss hin und wieder mit meiner Höhenangst kämpfen, so dass ich dann doch recht froh bin, als die im Ticket enthaltene Gruppen-Führung durch die Gallerie beginnt.
In dieser erst 2018 fertiggestellten Ausstellung erfährt man einiges über das Bauwerk und seine Entstehungsgeschichte, wobei hier tief in die digitale Trickkiste gegriffen wird. So unterhalten sich z.B. zwei Portaits miteinander. Doch ich möchte nicht zu viel verraten, lebt die Führung doch auch von seinen Überraschungsmomenten, ist kurzweilig und unterhaltsam.
Auf dem Rückweg wird man noch fotografiert (ein Foto ist im Ticketpreis inbegriffen, weitere Fotos kosten extra), dann geht es wieder nach unten. Auf der Ebene mit den Souvenirshops und der Fotoabgabe wird man schließlich entlassen. Dort angekommen ist Marvin nun doch etwas erschöpft. Mir geht es ähnlich, also verzichten wir auf unser Foto (die Schlange dort ist uns viel zu lang) und verlassen den Turm.
Zurück mit dem Taxi
Inzwischen ist es dunkel und der vor uns liegende Heimweg zum Hotel erscheint mir endlos. Ein zufällig vor uns haltendes Taxi und ein Blick auf Marvins blasse Nase hilft mir bei der Entscheidung. Kurzerhand signalisiere ich dem Fahrer, dass wir ihn brauchen, er öffnet prompt die Tür zu den Rücksitzen und ich bugsiere den nur schwach protestierenden Marvin hinein. Die Taxifahrt gestaltet sich unkompliziert. Eine Unterhaltung wird nicht erwartet (es sind Scheiben zwischen den Vorder- und Rücksitzen angebracht) und das Bezahlen ist einfach, weil das Taxameter ja sowieso für uns lesbare arabischen Ziffern anzeigt. Mit knapp 1500 Yen (ca. 8 Euro) finde ich es auch erstaunlich günstig.
Wieder zurück in unserem Zimmer fallen wir müde aber zufrieden auf unser Bett. Marvin schläft recht schnell ein. Ich lege noch einige Male eine Hand auf seine Stirn (gleichbleibend kühl… gottseidank), ehe ich selbst in tiefen Schlummer falle. Gute Nacht, Tokyo.
Überblick
Datum: Mittwoch, 27. September 2023
Unterkunft: Henn na Hotel Tokyo Akasaka