Heute geht es in die japanische Provinz, genauer gesagt in das zur Präfektur Hiroshima gehörende Onomichi. Malerisch an der Seto-Inlandsee gelegen, zählt es zwar mit seinen 130.000 Einwohnern ganz knapp bereits als Großstadt, lässt sich aber natürlich in keinster Weise mit der Millionenstadt Osaka vergleichen.
Hostel statt Hotel
Unser dortiger Übernachtungsplatz spiegelt diesen Unterschied wider. Die Unterkünfte in Tokyo, Hakone und Osaka waren allesamt größere Hotels, in Onomichi aber nächtigen wir das erste Mal in einem kleinen, privat geführten Hostel. Das Guesthouse Yadocurly hat auf dem Buchungsportal sehr gute Bewertungen erhalten hat und kostet mit knapp 45 Euro pro Nacht ungefähr die Hälfte dessen, was wir für die anderen Hotels bezahlt haben (von Hakone mal abgesehen…). Wir hatten bei der Auswahl trotzdem etwas gezögert, denn wir wussten nicht, ob die Verständigung in so einem eher familiären Umfeld gut klappen würde. Aber als wir gelesen haben, dass der Besitzer Hiro sehr gut Englisch spricht, waren wir mutig.
Keinen Bock auf viele Touristen
Zum ursprünglichen Routenplan gehörte es auch, auf dem Weg dorthin einen kurzen Zwischenstopp einzulegen und die berühmte Burg Himeji zu besichtigen, die liegt nämlich direkt an der Strecke. Nach etwas Überlegen haben wir diese Idee aber wieder verworfen. Zum einen schreckten uns die hohen Besucherzahlen ab, zum anderen müssten wir während der gesamten Besichtigung unsere schweren Rucksäcke mitschleppen (sofern wir es nicht schafften, diese in einem Schließfach unterzubringen – wovon wir nicht sicher ausgehen konnten). Auf beides hatten wir wenig Lust. Und da ein paar Tage später noch die Besichtigung einer anderen japanischen Burg (nämlich in Matsujama) auf dem Plan steht, haben wir Himeji von der Liste unserer Ziele gestrichen.
Unpünktlichkeit trotz Eile
Ich habe stattdessen bei der Buchung der Unterkunft angegeben, dass wir vermutlich schon mittags ankommen werden. Schließlich ist es nicht allzu weit von Osaka aus. Hiro hatte damals prompt geantwortet, dass das kein Problem sei, er würde auf uns warten. Das setzt uns heute natürlich etwas unter Druck. Statt einem ausgiebigen Frühstück schieben wir uns daher nur ein paar Riegel rein, packen und machen uns auf den Weg. Erst nach dem Reservieren unserer Shinkansen-Sitzplätze (inzwischen erledigen wir das ganz routiniert) gönnen wir uns während der Wartezeit auf unseren Zug einen süßen Snack in einem Starbucks am Bahnhof.
In Onomichi selbst hält kein Shinkansen, wir müssen in Fukuyama in die Regionalbahn umsteigen. Die Fahrt mit dem Shinkansen verläuft störungsfrei und gewohnt pünktlich. Trotzdem habe ich mich mit der Ankunftszeit verschätzt, denn von Fukuyama nach Onomichi fahren nicht allzu viele Züge. Der nächste steht zwar schon auf einem Gleis bereit, aber es dauert noch über eine halbe Stunde, bis er endlich losfährt.
Als klar wird, dass wir es keinesfalls mehr bis 12:30 Uhr schaffen, schicke ich Hiro über das Buchungsportal eine Nachricht. Er antwortet prompt und meint, bis 13 Uhr wäre auch in Ordnung, nur länger könne er nicht warten.
Viertel vor eins erreichen wir den Bahnhof in Onomichi. So schnell wir können hetzen wir – von Google geleitet – durch die Straßen und schaffen es genau in dem Augenblick an unserem Ziel anzukommen, als Hiro gerade im Begriff ist zu gehen.
Er begrüßt uns fröhlich, aber voller Erleichterung. Man merkt ihm seine Eile an, als er (in nahezu perfektem Englisch) den Zugangsmechanismus mittels Zahlencode erklärt, uns den Schlüssel für unser Zimmer in die Hand drückt und sich bis zum Spätnachmittag verabschiedet, um dann im Laufschritt um die Ecke zu verschwinden. Hoffentlich sind wir nicht schuld daran, dass er irgendwo zu spät kommt!
Eine Unterkunft mit viel Charisma
Erschöpft von unserem schnellen Marsch samt Gepäck – und das bei der Hitze – suchen wir erst einmal unser Zimmer auf. Es sieht tatsächlich so aus wie auf den Fotos, mit der riesigen Eckcouch, dem schönen Ausblick und der Gorillastatue, nur dass letztere nicht aus Holz ist, wie wir gedacht hatten, sondern aus Plastik. „Normale“ Betten gibt es nicht, vielmehr liegen zwei gefaltete Futonmatten sowie Bettwäsche bereit, um am Abend in eine komfortable Liegefläche umgebaut zu werden.
Wir fühlen uns sofort wohl, werfen unser Gepäck ab und erkunden den Rest des Gebäudes. Lange brauchen wir dafür nicht, denn es ist sehr klein und urig-verwinkelt. Mit seinen Holzwänden und -böden sowie den steilen Treppen erinnert es stark an ein altes Schiff.
Wir begegnen noch einem Vater mit seiner Tochter, die irgendwo aus Australien oder Neuseeland stammen. Sie haben das zweite verfübare Einzelzimmer gebucht. Ansonsten gibt es noch einen kleinen Gemeinschafts-Schlafraum – aktuell leer – ein gemütliches kleines Aufenthaltszimmer, eine liebenswürdig-chaotische Küche sowie je eine Gemeinschafts-Dusche und -Toilette für alle. Oha! Hoffentlich gibt es hier keinen Stau, falls noch andere Gäste eintreffen! Doch meine Sorge ist unbegründet. Es kommen zwar noch ein paar Übernachtungsgäste, aber alle sind diszipliniert und keiner nimmt übertrieben lange die Dusche oder Toilette in Anspruch, so dass es prima klappt.
Ich lasse mich überzeugen
Nachdem wir uns im Gästehaus zurechtgefunden haben, wollen wir Onomichi erkunden. Wenn uns Corona nicht in die Quere gekommen wäre, hätten wir den heutigen Nachmittag genutzt, um die Radverleih- und Gepäckversand-Möglichkeiten vor Ort auszukundschaften. Ich merke, dass ich traurig werde, weil wir uns so auf das Radeln über den Shimanami Kaido gefreut hatten, versuche mir aber nichts anmerken zu lassen. Doch Marvin spricht das Thema von seiner Seite aus an.
Ganz zaghaft fragt er mich, was ich denn davon halten würde, wenn wir zumindest einen Teil der Tour radeln würden, nämlich den für übermorgen geplanten. Erst bin ich total dagegen – weiß ich doch, wie gefährlich es sein kann, wenn man sich so kurz nach einem Infekt wieder körperlich anstrengt. Aber dann überzeugt er mich, und zwar mit dem Argument, dass es kaum einen Unterschied macht, ob wir bei der Hitze mit viel Gepäck Eilmärsche hinlegen – so wie heute – oder mit nicht ganz so viel Gepäck kilometerlange Besichtigungen zu Fuß, wie in den letzten Tagen. Oder ob wir mit sehr leichtem Gepäck ganz langsam und gemütlich vor uns hinradeln. Das stimmt natürlich. Wo er recht hat, hat er recht.
Wir machen beide einen Test. Seiner ist inzwischen wieder komplett negativ, meiner immer noch. Ich lasse Marvin hoch und heilig schwören, dass wir beim ersten Anzeichen von Herzrasen oder ähnlichem bei ihm die Tour sofort wieder abbrechen und mit dem Bus weiterfahren. Als er mir das glaubwürdig zusichert, fangen wir an zu planen.
Das Gepäck reist uns voraus
Der erste Schritt ist der Gepäckversand, hierzulande Ta-Q-Bin genannt. Schließlich können wir nicht mit den großen Rucksäcken auf dem Rücken radfahren. Es ist in Japan ganz normal, sein Gepäck z.B. vom Flughafen zum Hotel, von einer Unterkunft zur nächsten, zu einem Konbini oder zu einer Filiale des Transportdienstes transportieren zu lassen, das hatten wir zuhause bereits ausgiebig recherchiert. Der vermutlich bekannteste Anbieter hierfür ist Yamato, und Google zeigt uns eine Filiale gleich um die Ecke an. Gut, dann wäre das schon mal geklärt.
Der richtige Fahrradverleih
Der zweite Punkt ist der Fahrradverleih. Hier hatten wir von München aus schon die verschiedenen Anbieter ausgekundschaftet. Da der Shinanami Kaido recht beliebt ist, gibt es gleich mehrere zur Auswahl. Für uns kommt allerdings nur der Shimanami Rental Cycle infrage, da die anderen entweder ihre Ruhetage während unserer Tour haben oder der Rücktransport der Fahrräder von Imabari aus (unserem Ziel) selbst organisiert werden muss. Oder beides. Der Shimanami Rental Cycle hat auch noch einen anderen Vorteil: Es gibt hiervon einige Filialen direkt an der Strecke. Wir können dadurch die Tour tatsächlich problemlos auch mittendrin abbrechen, falls es Marvin zu sehr zusetzt.
Die komplette Länge des Shimanami Kaido beträgt ca. 80 km und führt über sechs Brücken und ebenso vielen Inseln (zur ersten Insel, direkt vor Onomichi, kommt man mit einer Fähre). Wir hatten ihn für uns in zwei Abschnitte aufgeteilt, mit einer Übernachtung in Setoda auf Ikuchi Island, der dritten Insel (zwischen Punkt 8 und 9 auf der obigen Karte). Eine kurze Recherche ergibt, dass direkt in Setoda eine Filiale des Radverleihs vorhanden ist. Na, das passt doch super!
Welchen Bus müssen wir nehmen?
Wir verbinden eine Besichtigungstour durch Onomichi (bei der wir gleichzeitig unsere Vorräte in einem Konbini aufstocken) mit der Suche nach der richtigen Busstation, um morgen nach Setoda zu kommen. Es gäbe zwar auch eine Fähre dorthin, aber wir hoffen, zumindest optisch einen Eindruck des ersten Teils der Radstrecke zu bekommen, wenn wir den Landweg wählen.
Der Busbahnhof selbst ist schnell gefunden, aber den richtigen Bus finden wir nur dank unseres Deepl-Übersetzers. Natürlich ist es das letzte von uns abfotografierte und übersetzte Haltestellenschild, etwas abseits der anderen. Macht aber nichts, wir sind froh, es überhaupt gefunden zu haben.
Mit ein wenig Kombinantionsgabe ermitteln wir noch die Abfahrtszeiten für morgen, dann belohnen wir uns mit einem Glas frisch gepressten Orangensaft aus einem Laden direkt am Bahnhof. Die Orangen sind eine Spezialität dieser Gegend (was wir vorher schon in Erfahrung gebracht haben) und wir sind neugierig, ob sie wirklich so besonders sind. Bei der Bestellung müssen wir zwischen verschiedenen Geschmacksrichtungen (eher süß oder eher säuerlich, mit mehr oder weniger Fruchtfleisch, usw.) wählen. Ich bin mir nicht ganz sicher, für welche Variante ich mich entschieden habe, aber der Saft schmeckt einfach grandios!
Aktuell gibt es nicht mehr viel zu tun und wir gehen zurück ins Gästehaus. Inzwischen ist auch Hiro wieder da und wurschtelt im nebenan gelegenen, ebenfalls von ihm betriebenen Cafe. Wir unterhalten uns eine Weile mit ihm und erwähnen dabei auch unseren Plan, die Rucksäcke zu verschicken. Er erklärt uns gutgelaunt, dass das kein Problem wäre, solche Transporte wären hier an der Tagesordnung und funktionieren zuverlässig. Das beruhigt uns doch sehr.
Allerletzte Vorbereitungen
Wir gehen auf unser Zimmer und sortieren das Gepäck. Welche Dinge benötigen wir während der nächsten zwei Tage und welche können morgen früh mit dem großen Rucksack nach Imabari geschickt werden? Welche sonstigen Sachen müssen wir bei uns tragen, welche können im Exremfall auch verloren gehen, falls der Transport doch schiefläuft?
Als endlich alles aufgeteilt ist (mein Tagesrucksack ist mal wieder doppelt so dick wie Marvins – ich habe den Verdacht, dass er außer einer Wechselunterhose, einer Zahnbürste und seinem e-Book-Reader nichts eingepackt hat…) kramen wir noch den Ausdruck eines Ta-Q-Bin-Formulares heraus, den wir extra in München vorbereitet haben. Schließlich können wir ja weder japanisch lesen noch schreiben. Also hat Marvin ein solches Formular aus dem Internet geladen und dann mit den Daten unseres Hotels in Imabari vorausgefüllt.
Den Abend ausklingen lassen
Jetzt sind wir wirklich maximal vorbereitet – und haben Hunger. Also gehen wir in die Pizzeria um die Ecke. Ja, ich weiß – wieder Pizza. Aber die letzte war so lecker! Und im doch eher beschaulichen Onomichi haben wir nur wenige vegetarische Optionen. Auch hier schmecken die Pizzen super, dazu kommt ein weiteres Glas von diesem wirklich außergewöhnlichen Orangensaft. Kein Wunder, dass die Orangen aus dieser Gegend so berühmt sind!
Satt und zufrieden schlendern wir zurück zu unserer Unterkunft. Wie üblich wird es um 18 Uhr dunkel. Wir bauen uns ein gemütliches Bett, bringen unsere Freunde daheim auf den neuesten Stand und fallen dann irgendwann in einen tiefen und ungestörten Schlaf. Ich bin sehr gespannt auf die Inseln des Seto-Binnenmeeres. Die Fotos und Videos, die wir uns angesehen haben, sind jedenfalls sehr vielversprechend.
Überblick
Datum: Montag, 02. Oktober 2023
Unterkunft: Gästehaus Yadokari (Google: Yadocurly), Onomichi