Der Beginn von Marvins Corona-Erkrankung liegt jetzt genau eine Woche zurück. Erst eine Woche! Wahnsinn. Es kommt mir so viel länger vor. Bei mir ist nach wie vor kein zweiter Strich zu sehen und ich wage zu hoffen, mich nicht angesteckt zu haben. Ansonsten müsste ich doch schon etwas merken, oder?
Marvin selbst ist inzwischen komplett gesundet. Er beginnt, genervt zu reagieren, wenn ich wie zufällig meine Hand auf seine Stirn lege oder an seinem Handgelenk den Puls suche – das ist ein gutes Zeichen! Trotzdem dürfen wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Ich bin fest entschlossen, ihn (und mich) vor allzu großer Anstrengung zu schützen.
Versenden der großen Rucksäcke
Heute besteht diesbezüglich keine Gefahr. Der von uns angepeilte Bus nach Setoda fährt um kurz nach 11 Uhr. Da wir urlaubstypisch schon vor 8 Uhr aktiv sind, haben wir genügend Zeit für die vorher zu erledigenden Aufgaben: Frühstücken, die großen Rucksäcke versenden, zur Bushaltestellen gehen.
Wir bereiten uns in der kleinen Gästehausküche zwei Instant-Cappuccini vor und essen dazu den Rest der Leckereien, die wir gestern im Konbini gekauft haben. Danach räumen wir unser Zimmer auf und verabschieden uns von Hiro, der bereits wieder in seinem Cafe aktiv ist.
Er beschreibt uns noch einmal den komplizierten Weg zur nächsten Yamato-Filiale („da vorne, gleich rechts um die Ecke“) und nur wenige Sekunden später stehen wir auch schon am Schalter. Wir genießen sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit einer absolut perfekt Englisch sprechenden Angestellten in Yamato-Uniform, die uns super-nett berät. Wir erklären, was wir vorhaben (Shimanami Kaido in zwei Etappen) und dass wir dafür die großen Rucksäcke mit ihrem Service transportieren lassen wollen.
Ich komme mir dabei ungeheuer weltfrauisch vor, bis mein Blick in eine Ecke fällt, in der bereits mehrere Rucksäcke ähnlich der unsrigen liegen. Scheinbar haben nicht nur wir diese Idee – was aber wiederum die Behauptung Hiros unterstreicht, solche Transporte wären hier an der Tagesordnung. Sehr gut. Dann wissen die hoffentlich, was sie tun!
Eigentlich wollten wir die Rucksäcke zu dem von uns gebuchten Hotel transportieren lassen, aber unsere Schalterangestellte erklärt, dass das a) nicht über Nacht möglich ist (es würde einen Tag länger dauern), b) teurer wäre und c) überhaupt nicht nötig sei, denn unweit unseres Hotels ist die Yamato-Filiale in Imabari. Dorthin würde sie die Rucksäcke schicken lassen.
Wir hören auf ihren Rat, sie fängt an, alle nötigen Formalitäten zu erledigen und kurz darauf müssen wir uns von unserem großen Gepäck trennen. Im Gegenzug erhalten wir zwei Abholzettel, auf die wir gut aufpassen sollen. Denn nur mit diesen Zetteln können wir morgen unsere Rucksäcke am Zielort wieder auslösen, wie sie uns zum Abschied noch erklärt. Die ganze Angelegenheit dauert unter einer halben Stunde und kostet einen Appel und ein Ei. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie viel wir bezahlt haben, aber es waren keine 10 Euro pro Rucksack.
Mit dem Bus nach Setoda
Im Anschluss schlendern wir weiter zur Bushaltestelle. Da alles viel schneller ging als erwartet, müssen wir noch eine ganze Weile auf den Bus warten, aber ich nütze die Zeit, um zum 100ten Mal durchzudenken, ob ich auch wirklich alle wichtigen Dinge in meinem kleinen Rucksack untergebracht und nichts im großen vergessen habe. Jetzt könnte ich ja noch hinlaufen und es rausholen. Aber mir fällt nichts ein und einigermaßen beruhigt steige ich in den Bus nach Setoda, als er endlich auftaucht.
Wir haben über Google-Maps gestern schon die Route des Busses ausgekundschaftet. Was gut war, denn ehe er auf die Brücke zu den Inseln abbiegt, macht er erst eine große Runde in die andere Richtung, quer durch Onomichi. Hätten wir das nicht gewusst, wären wir panisch davon ausgegangen, im falschen Bus zu sitzen. Doch so können wir noch einen letzten Blick auf diese nette kleine Stadt werfen, ehe wir Honshu verlassen und auf die Inseln des Seto-Binnenmeeres hinüberwechseln.
Die Busstrecke bis nach Setoda ist nicht besonders aufregend. Anders als erhofft, sehen wir nicht allzu viel. Der Bus fährt nicht an der Küste entlang, sondern mitten über die Inseln – und hier gibt es außer Bäumen und ein paar Häusern nichts zu sehen. Highlights sind die Brücken zwischen den Inseln: Von hier aus erhascht man einen kurzen Einblick in die Schönheit dieser Meeres-Landschaft mit ihren vielen kleinen und noch kleineren Inseln. Wir freuen uns daher auf morgen, denn der zweite Teil der Radstrecke führt nicht nur weitestgehend an der Küste entlang, er soll gleichzeitig auch der schönere sein.
Ein perfektes Zimmer – mal wieder 🙂
In Setoda angekommen, marschieren wir erst einmal zu unserer Unterkunft. Für ein Zimmer im SOIL Setoda sind wir wochenlang auf der Lauer gelegen. Es war nämlich nicht möglich, hier schon ein halbes Jahr im Voraus zu buchen, vielmehr gab es immer nur Angebote, die lediglich ein paar Wochen in der Zukunft lagen. Wir haben daher eine Ausweichunterkunft mit kostenloser Stornierungsoption reserviert (zur Sicherheit) und in regelmäßigen Abständen geschaut, ob zu dem von uns gewünschten Zeitpunkt endlich eine Buchung möglich ist. Als das endlich der Fall war, waren tatsächlich zwei der vier vorhandenen Zimmer schon vergeben. Aber das von uns ausgesuchte war noch frei, also haben wir zugeschlagen.
Mit seiner Lockerheit und seiner urgemütlichen Mischung aus Tradition und Moderne hat uns das relativ neue Haus nämlich spontan von allen Übernachtungsmöglichkeiten am besten gefallen. Im Erdgeschoss gibt es ein Cafe, der Gästehausbereich wiederum befindet sich im ersten Stock. Zwar gibt es auch hier nur Gemeinschaftsduschen und -toiletten, aber je zwei an der Zahl (nach Geschlechtern getrennt) für insgesamt vier Zimmer und einem kleinen Gemeinschaftsschlafraum mit sechs Betten. Ich bin während unseres Aufenthaltes nur ein einziges Mal einer anderen Frau begegnet, die gleichzeitig auf die Toilette wollte.
Wir sind etwas zu früh dran, also gönnen wir uns erst einmal Kaffee und Käsekuchen und genießen die chillige Atmosphäre, bis wir den Zimmerschlüssel in Empfang nehmen können. Unser Zimmer ist genauso schön wie auf den Fotos, mit Wasserkocher, Tee, Kaffee und Kühlschrank. Und einem fantastischen Blick direkt vom Bett aus auf die Küste vor Setoda. Perfekt!
Ortsbesichtigung
Nachdem wir ausgepackt haben – soll heißen: eBook-Reader aufs Bett geworfen und kleinen Rucksack in den Schrank – erkunden wir Setoda und suchen gleichzeitig nach einem Konbini oder einer anderen Einkaufsmöglichkeit. Wir stellen schnell fest, dass hier der Dienstag scheinbar der Tote-Hose-Tag ist. Es sei denn, es ist hier immer so ruhig – zahlreiche geschlossene (aber nicht aufgegeben wirkende) Läden lassen jedoch vermuten, dass heute wirklich so eine Art Ruhetag und sonst mehr los ist. Haben vielleicht deswegen einige Fahrrad-Verleihe dienstags geschlossen? Oder ist es umgekehrt: Hier ist Ruhetag, WEIL die Fahrrad-Verleihe ebenfalls einen haben?
Wie dem auch sei, lebhaft ist es jedenfalls nicht. Und es gibt auch sonst nicht viel zu sehen. Wir entdecken einen kleinen Tempel auf einem Hügel und wandern hoch zu einer Art Friedensdenkmal (können es aber nicht besichtigen, weil es gerade schließt … immerhin hatte es heute geöffnet). Auf dem Weg entdecken wir auch gleich die Filiale des Shimanami Rental Cycle. Prima, dann wissen wir ja, wo wir morgen hin müssen! Zu guter Letzt landen wir an einem recht großen (und scheinbar auch einzigen) SevenEleven am Stadtrand.
Da wir während unserer Stadterkundung kein einladendes (und geöffnetes) Restaurant gesehen haben, decken wir uns hier mit ausreichend Proviant für heute abend und morgen früh ein. Die Auswahl ist ja – wie üblich – groß und lecker.
Ruhe und Gelassenheit
Gemütlich marschieren wir zurück zum SOIL. Als wir dort ankommen, geht es auch schon langsam auf den Abend zu. Ich dusche und kuschle mich anschließend in das weicheste aller Nachthemden, die ich bisher (und auch danach) während unserer Reise auf den Zimmern vorgefunden habe. Dann schnappe ich mir meinen eBook-Reader und lege mich aufs Bett neben Marvin, der dort schon seine Nase in sein eigenes elektronisches Buch gesteckt hat. Vor dem großen Panorama-Fenster zu unseren Füßen sehen wir, wie es dunkel wird – ein Vorgang, dessen Schnelligkeit auf diesem Breitengrad uns immer noch verblüfft – und die Straßenlaternen sich entzünden. Bis auf leises, nicht störendes Stimmengemurmel aus dem Cafe ist nur noch das Zirpen der Zikaden zu hören. Selbst das Meer ist vollkommen still.
Vielleicht mag meine Beschreibung ja nach einem langweiligen Ort klingen, aber das täuscht: Ich finde es hier unglaublich entspannend und genieße jede Minute – bis mir irgendwann der eBook-Reader aus der Hand rutscht und ich einfach einschlummere…
Überblick
Datum: Dienstag, 03. Oktober 2023
Unterkunft: SOIL Setoda