Angefangen hat alles mit einem Video. Chris Broad – bei YouTube berühmt als „Abroad in Japan“ – hat auf seinem Kanal ein Video über eine Radtour veröffentlicht, die er zusammen mit einer guten Freundin unternommen hat. Eine knapp 80 km lange Route, die über sechs Inseln und ebensoviele Brücken von der Hauptinsel Honshu bis zur Insel Shikoku führt. Marvin und ich haben dieses Video gesehen – und waren sofort bezaubert. Unser bis dahin eher vager Gedanke, irgendwann mal nach Japan zu reisen, wurde zu einem festen Entschluss mit einem ebenso festen (und dann doch wieder verschobenem – danke, Corona) Termin.
Zwei Mamacharis für uns
Die Shimanami-Kaido-Radroute ist also sozusagen Schuld daran, dass wir jetzt hier in Japan sind. Und beinahe hätte uns Corona wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nur dem Wunder von Marvins schneller Genesung ist es zu verdanken, dass wir heute von Setoda nach Imabari mit dem Rad fahren können.
Weil das Ganze aber so gesundheitsschonend wie nur möglich stattfinden soll, sind wir besonders früh auf den Beinen, damit wir den ganzen langen Tag Zeit haben für die knapp 48 Kilometer, die es zu radeln gilt. Gestern hatten wir herausgefunden, dass der Fahrradverleih um 9 Uhr öffnet – und um genau diese Uhrzeit stehen wir auch schon davor. Die Auswahl der zur Verfügung stehenden Fahrrad-Typen ist nicht allzu groß. Sportlichere Räder sind bereits reserviert, e-Bikes können nicht in Imabari zurückgegeben werden, also bleiben nur die sogenannten Mamacharis, japantypische bequeme Räder, meist mit einem Korb vorne dran, auf denen man komplett aufrecht sitzt und deren Sättel mittlere Couch-Qualität haben. Ein Garant für einen schmerzenden Hintern sozusagen.
Wir wählen zwei davon aus und der Verleihmensch stellt beide Sättel auf die höchstmögliche Stufe. Was für uns, die wir beide an der 1,80 m-Marke kratzen (ich von unten, Marvin von etwas darüber) bedeutet, dass wir die Beine maximal rechtwinklig „ausstrecken“ können beim Treten. Also gar nicht. Ein weiterer Garant für Schmerzen, diesmal in den Knien.
Doch das juckt uns nicht, begeistert nehmen wir unsere Räder samt Schlüssel für die eingebauten Schlösser in Empfang, suchen uns jeder noch einen – im Preis inbegriffenen – Fahrradhelm aus und begeben uns dann auf die andere Straßenseite, um uns startklar zu machen.
Jetzt geht es los!
Danach radeln wir gemütlich los (allerdings kann man mit diesen Rädern auch gar nicht anders als gemütlich fahren). Das Wetter ist perfekt – nicht zu heiß, immer etwas diesig – und die Stimmung sehr gut.
In Japan herrscht Linksverkehr, was für uns eine gewisse Umstellung bedeutet. Da kommt es uns sehr entgegen, dass die Orientierung extrem einfach ist, denn die Route ist nahezu über die gesamte Strecke mit einer blauen Linie auf dem Boden gekennzeichnet (dort, wo die Linie fehlt, weiß man trotzdem genau, wo es weitergeht). In regelmäßigen Abständen sind zudem Schilder angebracht, die die Entfernung zur nächsten Brücke, zum nächsten „Rest Park“ (wo es Toiletten und Einkaufsmöglichkeiten gibt) und zum Ziel (Imabari) angeben. Vorbildlich!
Wir machen immer wieder kleine und größere Pausen, bei denen wir etwas essen oder trinken. Die hier ebenfalls überall verteilten Getränkeautomaten versorgen uns zusätzlich mit kühlen Getränken.
Bei ausnahmslos allen Steigungen – meist vor den Brücken zwischen den Inseln – steigen wir ab und schieben die Räder ganz langsam nach oben. Uns beiden geht es dabei prächtig. Die Route ist einfach wunderbar zu fahren, die Ausblicke sind immer wieder spektakulär und es macht enorm viel Spaß. Wir sind unglaublich froh, hier zu sein.
Ich lasse jetzt einfach einmal eine etwas größere Auswahl aus unseren (gefühlt 2.000) Bildern sprechen, auch wenn diese – wie so oft – die Atmosphäre nur unzureichend wiedergeben können:
Ankunft in Imabari
Die letzte Brücke ist gleichzeitig auch die längste. Über mehr als vier Kilometer führt sie auf die Insel Shikoku. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Imabari.
Am Nachmittag, gegen 15 Uhr, erreichen wir unser Ziel. Glücklich, aber mit schmerzenden Hintern und Knien. Unser Hotel liegt nahe dem Hauptbahnhof – und praktischerweise ist hier auch die „Endstation“ des Shimanami Kaido, so dass uns die blaue Linie direkt dorthin führt. Sämtliche Fahrradverleihe haben hier natürlich eine Filiale (nicht wenige fahren die Radstrecke schließlich auch in die entgegengesetzte Richtung, starten also hier), und wir können unsere Räder bequem abgeben.
Die Verleihgebühr beträgt für beide Räder genau 6.000 Yen (knapp 37 Euro), also unter 20 Euro pro Rad samt Helm. Überhaupt nicht teuer, wie ich finde. Erst recht nicht für dieses großartige Erlebnis!
Gepäckabholung
Ich sehne mich nach einer kühlen Dusche, aber zuerst müssen wir wieder an unser Gepäck kommen. Via Google-Maps lokalisieren wir sehr schnell die betreffende Yamato-Filiale (sie ist tatsächlich nur wenige Ecken entfernt, genau wie die Angestellte in Onomichi versprochen hat) und beim Eintreten sehen wir auch gleich unsere beiden Rucksäcke auf einem Transportwagen liegen. Auch das hat also prima geklappt!
Glücklich wiedervereint schleppen wir unser Gepäck zum Hotel und checken ein. Das Zimmer ist – wie üblich – ziemlich hübsch, der Blick über Imabari wiederum ist richtig schön. Leider jedoch lässt sich das Fenster wegen des hohen Stockwerks nicht weit öffnen, nur einen kleinen Spalt. Das Hotel will dadurch Unfälle verhindern, ich jedoch – die ich Klimaanlagenluft nicht besonders schätze – finde es schade.
Sonnenverbrannt, aber glücklich
Egal, wir werfen uns erst einmal unter die Dusche – nur um festzustellen, dass wir Noobs uns beide fette Sonnenbrände geholt haben. Das ist mal wieder typisch: An alles haben wir gedacht, aber daran, dass sechs Stunden Radfahren in der (wenn auch diesigen) Sonne zu einem Sonnenbrand führen könnten, natürlich nicht … peinlich. Wir haben nicht einmal eine Sonnencreme eingepackt.
Somit führt unser nächster Weg in eine Apotheke um die Ecke. Die sehr freundliche Apothekerin kennt das Problem offensichtlich schon (ich möchte nicht wissen, wieviel verbrannte Gaijins sie so im Schnitt im Laden hat) und empfiehlt uns eine Heilcreme für den akuten Sonnenbrand.
Mit einer Sonnenschutzcreme kann sie jedoch leider nicht aushelfen, gibt uns aber den Tipp, in einem Konbini danach zu suchen. Was wir auch machen – allerdings dauert es ganz schön lang, bis wir sie finden. So eine große Auswahl wie in hiesigen Drogeriemärkten gibt es hier nicht, genau eine können wir identifizieren – die aber dafür gleich mit LSF 50+. Google meint hierzu, dass es in Japan wohl sehr unüblich ist, sich lange der Sonne auszusetzen, blasse Haut gilt als schick. Weit verbreitet ist daher Sonnenschutzkleidung (Hüte, spezielle UV-Schutz-Klamotten) und -schirme, so dass die Sonne erst gar nicht an die Haut gelangt.
Abendessen im CoCo Ichybanya
Nun, in Ermangelung besserer Möglichkeiten schmieren wir uns exzessiv mit Heil- und Schutzsalbe ein, ehe wir uns auf die Suche nach einem Abendessen machen. Heute haben wir dafür die Curry-Kette CoCo Ichibanya auserkoren, weil man dort über ein Tablet am Tisch auf Englisch bestellen kann und es (dank des hier praktizierten „Baukastensystems“) einiges an vegetarische Zusammenstellungsmöglichkeiten gibt.
Die Bewertungen bei Google sind eher so mittel, was wir nicht verstehen. Wir sind super-zufrieden. Wir bestellen Omurice samt Currysauce und diversem Gemüse, dazu Pommes und erfrischende Getränke (Marvin schwärmt noch heute vom Zitronen-Lassi). Alles schmeckt uns ausgezeichnet. Was will man mehr?
Anschließend macht sich der heutige Tag dann doch deutlich bemerkbar. Wir verzichten auf das kostenlose Begrüßungsgetränk, das wir im Hotel zur nun beginnenden Happy Hour bekommen würden, und fallen lieber auf unsere Betten. Wir sind sehr müde – aber schön war es, wirklich wunderschön!
Eine absolute Empfehlung
Wir können jedem nur ans Herz legen, diese tolle Radtour ganz oder in Teilen in eine Japanreise einzubauen. Die Organisation ist – wie man bei uns sieht – wirklich nicht allzu kompliziert. Und es ist ja jedem freigestellt, die Tour ganz seinem eigenen Können und Tempo anzupassen.
Bei der Abgabe unserer Fahrräder sind wir z.B. mit zwei schon älteren deutschen Frauen ins Reden gekommen. Sie haben erzählt, dass sie sich drei gemütliche Tage Zeit gelassen haben und die Inseln auf diese Art ausgiebig erkunden konnten. Also, keine Scheu – es lohnt sich!
Überblick
Datum: Dienstag, 04. Oktober 2023
Unterkunft: JR Hotel Clement Inn – Imabari
Anmerkung zur Map: Google konnte die Radstrecke nicht berechnen, daher habe ich die Autostrecke nehmen müssen. Diese stimmt aber nur teilweise mit den Radwegen überein. Letztere führen so oft wie möglich an der Küste der jeweiligen Insel entlang, sind also ingesamt etwas länger.