Vor 14 Jahren war ich schon einmal in Stettin (2005, auf meiner Russland-Baltenstaaten-Motorrad-Tour). Damals wurde im Reiseführer als besonders exotischer Übernachtungsplatz ein ehemaliges russisches Ausflugsboot angepriesen, zu einem Hotel umgewandelt und mitten in der Stadt am Flussufer der Oder ankernd. Die Übernachtung auf diesem Schiff ist mir als besonderes Erlebnis bis heute im Gedächtnis geblieben. Im Gegensatz zum Rest von Stettin – daran habe ich irgendwie so gar keine Erinnerungen mehr.
Bei den Recherchen zu unserer diesjährigen Tour habe ich voller Freude entdeckt, dass es dieses Hotel-Boot noch immer gibt. Zwar ist sein Ankerplatz vom West- ans Ostufer verlegt worden, doch Kajüten mieten kann man nach wie vor. Zudem recht günstig, wie ich kurz darauf festgestellt habe – und so habe ich vor unserer Reise gleich das größte verfügbare Zimmer für den heutigen Abend gebucht: die Kapitänskajüte, knapp 60 Euro inklusive Frühstück (für uns beide). Für Polen mag das vielleicht nicht besonders billig sein, aber für uns, die wir Campingplatzpreise bis zu 40 Euro (ohne Frühstück) gewöhnt sind, ist das echt OK. Neben einem geräumigen Doppelbett, einer Bar, Bad mit Dusche und diversen anderen Annehmlichkeiten verfügt die Kajüte lt. Homepage auch über eine Klimaanlage – und das freut uns angesichts der für heute angesagten 33 Grad ganz besonders.
Ganz so sehr wie noch vor zwei Jahren in Korsika macht mir die Hitze allerdings nicht mehr zu schaffen. Ich vermute, das hängt mit meinem niedrigeren Körpergewicht zusammen. Damals war ich eben noch 25 kg schwerer – das isoliert zwar gut im Winter, macht heiße Sommer aber deutlich beschwerlicher.
Im Motorradzentrum Berlin
Momentan geht es mir jedoch noch ganz gut, obwohl die Sonne schon recht früh am Morgen kräftig heizt. Gestresst bin ich eher deswegen, weil wir ja noch zum Berliner Motorradzentrum fahren müssen – und ich hasse Fahrten innerhalb von mir unbekannten Großstädten. Die Möglichkeit der Kommunikation über unseren Helmfunk nimmt dem Ganzen zwar etwas den Schrecken (kein Vergleich zu hektischen Fahrmanövern und Beinahe-Unfällen durch missverstandene Handzeichen während unserer Prä-Technik-Epoche), das Innere von großen Städten gehört aber nach wie vor nicht zu meinen bevorzugten Fahrumgebungen.
Uns erwarten erneut ein paar sehr spannende Augenblicke, als Marvins Motorrad beim Aufbruch vom Campingplatz und wenige Minuten später nach dem Tanken besonders theatralisch vor sich hin röchelt. Beide Male denke ich: „Das wird jetzt endgültig nichts mehr!“ – dann springt sie doch noch an. Aber immer erst ’ne Szene machen, die Dramaqueen. Jetzt wird es aber wirklich Zeit für eine neue Batterie!
Eine knappe Viertelstunde später parken wir auch schon unsere Motorräder auf dem Bürgersteig neben einer mehrspurigen Durchfahrtstraße. Das BMW-Zentrum ist leicht zu finden, aber die Anzug-und-Krawatte-Typen im Inneren sehen so gar nicht nach Motorrad aus… und tatsächlich, das hier ist die Auto-Abteilung, der Bike-Bereich liegt ein gutes Stück hinterhalb des Hauptgebäudes und die Angestellten sind auch gleich deutlich lockerer gekleidet. Sie erklären uns, wie wir über versteckte Wege halb-legal hinter ihren Teil des Gebäudes fahren können. Wir holen also unsere Motorräder und währenddessen versuchen die BMW-Leute, den für uns zuständigen Menschen ausfindig zu machen.
Scheinbar ist dieser jedoch nicht aufzufinden – jedenfalls schließen wir das aus dem hektischen Getuschel, den gelegentlichen Seitenblicken auf uns sowie diversen Anrufversuchen, bei denen offensichtlich keiner rangeht. Wir sind zunehmend verunsichert, haben wir doch bei Google gelesen, dass es hier im Motorradzentrum mitunter etwas chaotisch zugeht, was zu längeren Wartezeiten führen kann. Doch eine Lösung wird schnell gefunden, denn einer der Anwesenden nimmt sich kurzerhand unserer Sache an, holt die Batterie aus dem Lager und baut sie uns wie selbstverständlich auch gleich ein. Das hätten wir jetzt nicht erwartet, freut uns aber sehr! Bezahlen müssen wir dafür nichts und die alte Batterie wird auch gleich fachgerecht entsorgt. Einen besseren Service kann man sich kaum wünschen!
Während wir vor der Werkstatt auf den Umbau warten, kommen wir mit zwei anderen Kunden ins Gespräch, die uns deswegen auffallen, weil sie dieselbe Motorrad-Typen-Kombi fahren wie Marvin und ich. Die beiden gehören zu den Los Piyus, einer Gruppe von Motorrad-Weltenbummlern, die schon eine Weile in besonders spannenden Ettappen rund um den Globus unterwegs sind. Der eine erzählt uns, dass er zwar unfallfrei die berüchtigte Road of Bones gefahren sei, aber hier – kurz vor Berlin – auf der Autobahn einen (glücklicherweise glimpflich verlaufenen) Crash gehabt hätte. Ich sag doch, Autobahnen sind gefährlich!
Über die Autobahn nach Polen
Trotzdem wagen wir uns nicht lange danach auf eine drauf. Durch eine grandiose Verfahraktion von Günni (um zwei Meter Fahrstrecke zu sparen, hat er uns von der Stadtautobahn auf eine Abfahrt gelotst und will uns auf der anderen Seite wieder auf dieselbe Stadtautobahn zurückschicken – doch leider ist das wegen einer Baustelle nicht möglich und wir sind gezwungen, einen riesigen Umweg zu fahren; so einen Unfug treibt der öfter und nicht immer merken wir das rechtzeitig) erreichen wir die Stadtgrenze von Berlin nämlich erst um die hitzeflimmerige Mittagszeit und wollen eigentlich nur noch so schnell wie möglich vorankommen. Nach einem kurzen Imbiss an einer Raststätte düsen wir also ereignislos und auf nahezu leerer Autobahn durch bis zur polnischen Grenze.
Stettin liegt nicht weit dahinter und am frühen Nachmittag erreichen wir schließlich das Hotelboot. Außer uns scheint es momentan nur sehr wenige Gäste zu beherbergen, aber der Empfang ist sehr freundlich und das Zimmer sieht tatsächlich genauso aus wie auf den Fotos. Nur etwas heiß und recht stickig ist es hier drin, aber wozu haben wir denn eine Klimanlage? Nach einigem Suchen finden wir sie auch und schalten sie ein. Unter blechernem Gerumpel nimmt sie ihre Arbeit auf – und uns kommen die ersten Zweifel…
Nun gut, jetzt nicht ablenken lassen, wir haben heute noch viel vor! Die Motorräder können wir direkt vor dem Schiff – in Sichtweite unserer Kajüte – parken, das Hochschleppen vom Gepäck ist trotz der engen Schiffsgänge bald erledigt und nicht lange danach haben wir uns häuslich eingerichtet. Nur noch schnell unter die Dusche und dann los in die Stadt, ich habe Hunger!
Während dieser ganzen Zeit arbeitet die Klimaanlage redlich (wie man an den Geräuschen, die sie so von sich gibt, leicht erkennt), schafft aber kein Fitzelchen kühle Luft. Irgendwie ist uns das Ding nicht ganz geheuer. Wir wollen es auch nicht gerne unbeaufsichtigt laufen lassen, also schalten wir es erst einmal wieder ab und machen uns dann auf den Weg in die Innenstadt.
Die ist nicht weit – direkt auf der anderen Seite des Ufers – und auf dem Weg zur Brücke kommen wir an mehreren sich zu Gruppen zusammenrottenden Jugendlichen vorbei. Die zahlreichen Uferkneipen, die wir jetzt erst so richtig wahrnehmen, bereiten sich anscheinend auch gerade auf den abendlichen Ansturm vor. Offensichtlich ist das hier die Feier-und-Party-Ecke der Stadt. Hm. Unser Misstrauen nimmt zu.
Die Stettiner Innenstadt ist schnell besichtigt. Jetzt weiß ich auch wieder, warum ich an den damaligen Besuch keine Erinnerungen mehr habe: Es gibt schlicht nichts, an das man sich erinnern könnte. OK, ein paar historische Gebäude hie und da, aber nichts davon reizt uns zu einer näheren Erkundung. Den zentralen Stadtkern hat man in den letzten Jahren offensichtlich kräftig renoviert, jedenfalls sieht er ziemlich hübsch aus. Es reiht sich ein Lokal an das nächste, aber erst in einer der Seitenstraßen entdecken wir ein indisches Restaurant (namens Bollywood), dessen Angebot uns schließlich nach innen lockt. Zum einen, weil es klimatisiert ist, zum anderen, weil es hier eine gute Auswahl an vegetarischen Gerichten gibt. Die Entscheidung war eindeutig die richtige, die Veggie-Platte für zwei gehört mit zu dem Besten, was ich jemals beim Inder gegessen habe!
Angenehm vollgefressen machen wir uns schließlich auf den Weg retour zum Schiff. Inzwischen dämmert es bereits und die Uferpromenade ist voll von lautstark feiernden Menschen. Na super! Doch zurück in unserer Kajüte stellen wir erleichtert fest, dass die Fenster einen großen Teil des Lärms schlucken – so ein Glück!
Wir schalten die Klimaanlage wieder ein und machen es uns voller Zuversicht mit unseren Büchern auf dem Bett gemütlich. Ungefähr eine Stunde später geben wir schweißgebadet auf. Die Anlage schafft es einfach nicht, die heiße Kajüte auch nur minimalst abzukühlen. Sie aromatisiert die Luft, die sie lautstark durchwalkt, lediglich mit einem Duft nach Staub und alter Elektrik – kälter wird sie dadurch jedoch nicht. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als sämtliche Fenster runterzukurbeln, wodurch immerhin ein bisschen frische Abendluft in unser Zimmer gelangt – zusammen mit ungefähr einer Million Mücken sowie einer Geräuschkulisse wie von einer Straßendisco auf dem Ballermann… aaargh!
Kurz zusammengefasst: Die Nacht wird scheußlich. Die Musikbeschallung samt Gejohle von den Uferkneipen und den direkt an unserem Schiff vorbeifahrenden Partybooten (keine Ahnung, wo die sich am Nachmittag versteckt gehalten haben; 2005 gab es sowas noch nicht) dauert bis vier Uhr morgens, die Mücken fressen sich an uns satt und wir machen so gut wie kein Auge zu. Soviel zu unserer Luxusunterkunft.
Ein denkwürdiges Erlebnis ist es immerhin schon – nur keines, das man unbedingt wiederholen möchte 😉
Routenüberblick
Datum: 25. Juni 2019
Schwierigkeitsgrad: Sehr hoch! Schließlich ist ja jetzt bewiesen, dass Autobahnen sogar gefährlicher sind als das Befahren der „Road of Bones“ 😉
Länge: ca. 3,5 h (durch Günnis Verfahrer)
Eindrücke: öde – Autobahn eben