Algund bei Meran – etwas abseits vom Massentourismus

Es mag angesichts meiner jahrzehntelangen Motorraderfahrung zwar seltsam klingen, aber heute fahren wir das erste Mal den Reschenpass. Und das auch noch bei bestem Wetter. Ich freue mich!

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Für die nächsten sechs Tage liefern die Online-Wetterportale die unterschiedlichsten Vorhersagen. Von „gewittrig-kühl“ bis hin zu „überwiegend sonnig“ ist so ziemlich alles dabei. Nur heute sind sich alle einig: Sonne, den ganzen Tag!

Reschenpass-Premiere

Bereits unser Frühstück können wir bei bestem Wetter genießen. Ich freue mich auf die heutige Strecke. Wir wollen über den Reschenpass bis kurz vor Meran fahren. Einen Teil der Route kennen wir schon, allerdings sind wir bisher immer kurz hinter Pfunds, also noch ein gutes Stück vor der eigentlichen Passhöhe, rechts abgebogen Richtung Engadin. Heute jedoch nehmen wir den linken Abzweig. Der führt uns durch so wohlklingende Orte wie „Nauders“ und „Fuhrmannsloch“ direkt zum Reschensee mit dem berühmten, aus dem Wasser ragenden Kirchturm des versunkenen Dorfes Graun.

Ich bin gespannt! In grauer Vorzeit bin ich mal als Sozia auf dem Rücksitz eines Motorrades über den Pass gefahren, aber das zählt nicht. Eben weil nicht selbst gefahren. Zudem habe ich sowieso keine Erinnerungen mehr daran. Gefühlt ist das also heute meine Premiere, genau wie bei Marvin.

Frustration beim Tanken

Gleich nach dem Aufbruch geht es an die Tankstelle. Aufgeregt wie ich bin, achte ich nicht auf den leicht abschüssigen Boden neben der Zapfsäule und habe für einen kurzen Moment beim Abstellen schon wieder das Gefühl, meine BMW würde mir umkippen. Verdammter Seitenständer! Die kriege ich alleine bestimmt nicht mehr hoch. Und tatsächlich: Ich mühe mich nach dem Tanken zwar ab, muss aber letztendlich doch Marvin um Hilfe bitten.

Er macht dies so unauffällig wie möglich, wofür ich ihm doppelt dankbar bin. Schließlich ist die Tankstelle voll mit anderen Motorradfahrern und als so ziemlich einzige selbstfahrende Frau möchte ich die Klischeevorstellung vom schwachen Weibchen nicht unbedingt noch nähren. Auch wenn es in diesem Moment stimmt.

Die unscheinbare Passhöhe

Der Frust sitzt tief, als wir weiterfahren. Doch die schöne Umgebung sorgt dafür, dass ich mich bald wieder besser fühle. Das Wetter ist so schön wie vorhergesagt, die Straßen trocken, nur leicht kurvig und sehr entspannt zu fahren. Kurz vor Nauders stehen wir wegen einer Baustelle einige Minuten im Stau, ansonsten kommen wir super voran und erreichen Punkt Zwölf die Grenze zu Italien. Zeit für eine kleine Pause bei Cola und geteilter Pizza.

Wir sind der Überzeugung, an der Passhöhe zu sein, erst nachträglich (nämlich jetzt, als ich diesen Text schreibe) merke ich, dass wir uns geirrt haben. Die Passhöhe selbst liegt wohl noch etwas weiter südlich von hier, angeblich unmittelbar vor dem Dorf Reschen (Google-Maps ist hier auch nicht allzu eindeutig). Sie ist jedenfalls als solche nicht zu erkennen und wir passieren sie, ohne es zu merken.

Spektakuläre Ausblicke

Der schönste Teil der Strecke beginnt am See, wo es wieder sanft bergab geht. Da ist zuallererst natürlich der schon erwähnte aus dem Wasser ragende Kirchturm. Wir fahren kurz auf den dahinter befindlichen Parkplatz, doch der ist dermaßen überfüllt, dass sich nicht mal für unsere Motorräder ein Abstellplatz finden lässt. Nun gut, dann gibt es halt keine eigenen Fotos. Diesen Turm kennt vermutlich eh schon jeder. Wobei ich sagen muss, dass er in live doch noch mal surrealer aussieht als auf den Bildern. Wenn ihr also mal in die Gegend kommt, lohnt sich ein kurzer Besuch auf alle Fälle.

Nach dem See beginnen dann die wirklich spektakulären Ausblicke. Nicht nur einmal entfährt uns ein staunendes „Ui, schau mal!“, wenn in der Ferne die riesigen schweizer Bergmassive emporragen, eingerahmt von den etwas sanfteren italienischen Alpen. Schon schön! Sehr sogar.

Camping(platz)glück

Am frühen Nachmittag erreichen wir schließlich Algund, kurz vor Meran. Ich hatte zuerst einen Platz direkt in Meran ausgespäht, aber der hatte nicht besonders gute Bewertungen. Daher haben wir uns für diesen hier entschieden, klein, aber fein. Da es inzwischen schon richtig heiß geworden ist, sind wir recht froh, unsere Motorradjacken ablegen zu können. Der Campingplatz hat noch Mittagspause, die Zeit überbrücken wir bei einer Tiramisu und einem Cafe in einem nahegelegenen Restaurant.

Die Campingplatzangestellte ist total nett und auch hier haben wir Glück: Der Platz ist zwar erneut nahezu vollständig ausgebucht, aber für Zweiräder (motorisiert oder nicht) gibt es einen separaten Sammelbereich „solange der Platz reicht“. Was damit gemeint ist, merken wir, als wir ihn uns ansehen. Es handelt sich um eine Fläche, die nicht mit einem breiteren Fahrzeug erreichbar ist, weil unmittelbar davor zwei normale Stellplätze sind, zwischen denen man sich hindurchschlängeln muss. Es dürfen so viele Fahrrad- bzw. Motorradzeltende darauf übernachten, wie eben Platz finden. Passt kein Zelt mehr hin, ist eben Schluss.

Aus Rücksicht auf noch kommenden Gäste stellen wir unser Zelt daher möglichst weit ins Eck und die Mopeds eng daneben. Im Laufe des Nachmittags kommen tatsächlich noch zwei Zelte mit Radlern hinzu, aber die finden locker Platz.

Der Campingplatz selbst liegt enorm idyllisch. Die Sanitäranlagen sind supermodern, blitzsauber und mit Klopapier ausgestattet. Zudem erhält jeder Übernachtungsgast Freikarten für das nebenan liegende Schwimmbad (die wir allerdings nicht nutzen). Einen Campingladen gibt es nicht, aber Restaurants und eine Bäckerei (sonntags geschlossen) sind in der Nähe und zum Ortskern ist es auch nicht weit. Und als I-Tüpfelchen zahlen wir für die Übernachtung gerade mal 25 Euro. Besser geht es kaum.

Schräglage

Bis das Zelt aufgebaut und wir geduscht sind, ist es schon später Nachmittag. Aber wir hatten für heute eh nicht mehr viel vor, es gibt also keinen Stress. Wir schlendern noch ein wenig durch den kleinen Ort, dann landen wir erneut im Lokal neben dem Campingplatz und essen gemütlich zu Abend.

Zurück am Platz will ich mein Motorrad noch etwas näher zum Zelt schieben (falls weitere Zweirad-Reisende auftauchen) und scheitere beinahe erneut. Lediglich weil meine doch recht schwere Gepäckrolle nicht mehr auf der Sitzbank befestigt ist, klappt es mit Müh und Not. Vor Frustration fange ich fast an zu heulen.

Marvin bemerkt es und testet es selbst. Er gibt zu, dass es deutlich schwieriger ist als bei seiner eigenen, obwohl mein Motorrad kleiner ist. Es liegt eindeutig am Winkel des Seitenständers. Zum Vergleich probiere ich seine 800er aufzustellen und schaffe es ohne Probleme. Das beruhigt mich ein wenig. Liegt es also doch nicht (nur) an meinen schwindenden Kräften.

Lösungen statt schlechter Laune

Für den Rest des Urlaubes muss allerdings eine Lösung her. Marvin schlägt vor, das komplette Zelt auf seiner BMW zu transportieren. Ihm macht das nichts aus und für mich wird das oben befestigte Gepäck dadurch deutlich leichter. Ich kämpfe noch einer Weile mit meinem Stolz, dann stimme ich zu. Das ist allemal besser, als vielleicht gar nicht mehr campen zu können. Oder – Göttin bewahre – womöglich in einem kleineren Zelt übernachten zu müssen.

Solange ich nicht so ende wie jene von mir hin und wieder beobachteten Frauen, bei denen am Motorrad nur handtäschchengroße Köfferchen befestigt sind, während das Gefährt des Mannes komplett überladen ist, ist alles gut!

Überblick

Datum: Sonntag, 31. August 2025
Schwierigkeitsgrad: mittel – zu jeder Zeit gut ausgebaute Straßen; der Pass hat nach unten ein paar Kehren, aber die sind weitläufig und nicht sehr eng
Länge: 140 km, ca. 3 h
Eindrücke: besonders ab dem Ort Reschen fantastische Ausblicke