Edinburgh – von seiner hässlichen Seite

Wir sind in Schottland angekommen und haben unser Lager in Edinburgh aufgeschlagen, alles genau nach Plan. Doch wie war das gleich mit den Plänen?

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Bisher klappt alles reibungslos, selbst der Linksverkehr ist nicht so schlimm wie befürchtet. Angenehm gesättigt, zufrieden und erschöpft von der langen Anreise verziehen wir uns an diesem Abend früh in das Zelt, lesen noch etwas und fallen recht bald in einen tiefen Schlaf.

Wie üblich werde ich in der Nacht von meiner Blase geweckt. Das erste Mal muss noch vor Mitternacht sein, denn als ich schlaftrunken zu den Sanitäranlagen schlurfe, ist es noch recht lebendig auf dem Platz.

Schock im Morgengrauen

Als ich jedoch das zweite Mal wach werde, ist um uns herum alles mucksmäuschenstill. Ein Blick auf mein Handy sagt mir, dass es kurz nach vier ist. Ich kuschel mich noch eine Weile in den gemütlichen Schlafsack und hoffe, wieder einschlafen zu können, doch das klappt nicht. Seufzend gebe ich auf, ziehe mich so leise wie möglich an – schließlich will ich Marvin nicht wecken – und krieche aus dem Zelt.

Halb gebückt will ich mich gerade unter dem Tarp hervorschleichen, als ich wie erstarrt stehenbleibe. Das, was ich dort sehe (bzw. was ich eben nicht sehen kann), hinterlässt in meinem Gehirn zuerst einmal ein Gefühl von Leere. Wo ist mein Motorrad? Dort, wo es gestern noch stand, liegt nur noch die plattgedrückte Getränkedose, mit der ich den Seitenständer stabilisiert habe…

Mein erster Impuls ist es umzudrehen, mich wieder hinzulegen und WIRKLICH aufzuwachen. Doch dann füllt sich das Schockvakuum in meinem Kopf langsam und mir wird klar, dass ich nicht träume. Mein Motorrad ist verschwunden!

Das ist sicherlich nur ein Scherz!

Fassungslos rufe ich zum Zelt: „Marvin, mein Motorrad ist weg!“ Das reißt ihn schlagartig aus dem Schlaf, nur Sekunden später steht er schon neben mir und gemeinsam beginnen wir, den Campingplatz zu durchsuchen. Zuerst denke ich ja noch an einen bösen Schabernack. Es ist die Nacht von Samstag auf Sonntag, betrunkene Jugendliche und so … doch dann entdecke ich am Rande eines Wäldchens meinen Tankrucksack, geöffnet und die Befestigungsriemen einfach durchgeschnitten. Jetzt wird mir endgültig klar, dass es sich hier um etwas Ernstes handelt.

Ich laufe zu Marvin, der auf der anderen Seite des Platzes gesucht hat, und ihm fällt ein, dass an der Tür der Rezeption eine Telefonnummer für den Notfall steht. Nun, um einen Notfall handelt es sich hier eindeutig, also schnappen wir mein Handy und rufen an.

Nicht lange danach erscheinen zwei Polizisten, etwas später gesellt sich auch noch Paul zu uns, das „Mädchen für alles“ des Campingplatzes und gleichzeitig der Mensch, den wir offensichtlich mit unserem Notfallanruf kurz zuvor aus dem Schlaf gerissen haben.

Gemeinsam wird der Platz noch einmal durchsucht, doch bis auf einige Reifenspuren im Gras und ein paar weitere, ebenfalls abgerissene Teile, die darauf schließen lassen, dass wohl auch noch ein Fahrrad gestohlen wurde, finden wir nichts mehr.

Einer der Polizisten nimmt unsere Aussage auf, während der andere die Aufnahmen der Sicherheitskameras des Platzes durchsieht. Unglücklicherweise (ist ja irgendwie klar …) ist ein Teil der Kameras ausgefallen, so dass nichts Hilfreiches auf den Videoaufnahmen zu sehen ist. Doch selbst wenn, sagt uns die Polizei, so hätte das auch nichts gebracht. Wie es scheint ist nämlich Motorraddiebstahl ein riesengroßes Problem in den größeren Städten Schottlands, und die Täter kommen entweder zu Fuß (und sind vermummt), oder aber mit einem Transporter, bei dem das Kennzeichen unkenntlich gemacht ist.

Doch wir sind nicht allein …

Im Umkreis von zwei Meilen seien noch zwei weitere Motorräder gestohlen worden in dieser Nacht, erklärt uns dann einer der Polizisten. Wir wären die letzten, die angerufen haben (zu diesem Zeitpunkt – wer weiß, wie viele sich danach noch gemeldet haben mögen).

Absurderweise tröstet mich das ein bisschen. Ich komme mir plötzlich nicht mehr ganz so allein vor in meinem Elend. Trotzdem geht es mir sehr schlecht und ich bin dankbar, dass Marvin den Rest mit der Polizei regelt. Ich kämpfe ständig mit den Tränen und bemühe mich, das alles nicht persönlich zu nehmen. Doch offensichtlich will das Schicksal nicht, dass wir dieses Jahr in den Norden Schottlands kommen. Erst die Sache mit dem Brustkrebs, und nun das…

Als alle Formalitäten erledigt sind, schlurfen wir zurück zum Zelt. Die Polizei rät uns zum Abschied noch, Marvins Motorrad für die nächste Nacht zusätzlich zu sichern – schließlich haben die Täter es in dieser Nacht gesehen, es ist ein schönes Bike und womöglich kommen sie wieder. Das Lenkradschloss alleine reicht offensichtlich nicht, wie man bei meinem Motorrad gesehen hat. Paul verspricht, dass er für uns nachher eine Sicherheitskette organisieren wird.

Als wir schließlich wieder vor unserem Zelt sitzen, kriecht schon langsam die Sonne über den Rand des Horizonts. An Schlaf ist sowieso nicht mehr zu denken, dafür sind wir beide noch viel zu geschockt, und ein Blick gen Himmel zeigt, dass es ein schöner Tag zu werden verspricht – zumindest wettertechnisch. Was also sollen wir nun tun, wie soll es weitergehen?