In der Nacht kühlt es kaum ab und es ist sehr stickig im Zelt. Mein Schlaf ist entsprechend unruhig. Als ich am Morgen von der aufgehenden Sonne geweckt werde, fühle ich mich wie gerädert. Na, das kann ja heiter werden… apropos heiter: Ich schnappe mir mein Handy und schaue nach dem Wetterbericht. Über 30 Grad sind angesagt – schon wieder. Immerhin gibt es einen Hoffnungsschimmer: Etwas weiter südlich soll es an der Küste gewittern und abkühlen, auf lauschige 27 Grad. Ob das auch auf Calvi zutrifft? Das wäre toll! Da wollen wir nämlich heute hin.
Kurze Etappen – und viel Zeit für andere (schöne) Dinge
Korsika ist nicht sehr groß. Wenn es uns nur ums Motorradfahren ginge, so könnten wohl selbst Langsamfahrer wie wir die Insel in drei, vier Tagen abfahren – genügend Sitzfleisch vorausgesetzt. Doch wir haben uns bei der Tourenplanung ganz bewusst dazu entschieden, auch anderen Aktivitäten viel Freiraum einzuräumen. Daher haben wir jeden (Fahr-)Tag so geplant, dass wir nicht erst abends am Ziel ankommen, sondern nach dem Aufbau des Zeltes noch genügend Zeit zum Baden und/oder Erkunden der Umgebung haben werden.
Das ist bei der aktuell herrschenden Gluthitze sicher eine gute Entscheidung. Müsste ich in voller Motorradkluft sechs, sieben Stunden fahren, so würde ich wahrscheinlich irgendwann zwischendrin einfach vom Moped kippen. Aber so liegen heute nur etwas über 90 Kilometer Strecke vor uns. Wobei man das auf Korsika nicht unterschätzen darf: Nicht umsonst geben Einheimische hier die Fahrzeit an und nicht die Kilometer, wenn man sie nach der Entfernung zu irgendeinem Ort befragt. Trotzdem sollten wir für die heutige Etappe nicht mehr als zwei bis drei Stunden brauchen.
Die „Wüste“ Korsikas
Wir zelebrieren unser übliches Morgenritual – frühstücken, Zelt abbauen und packen – und fahren los. Gestern haben wir von St. Florent nichts mitbekommen (der Campingplatz liegt drei Kilometer vor dem eigentlichen Ort), aber heute tuckern wir mitten hindurch. Ein nettes kleines Städtchen in hübscher Lage!
Gleich nach St. Florent führt die Straße uns nach oben, wird kurvig und die Umgebung zunehmend felsiger. Désert des Agriates heißt die Gegend hier – Agriatenwüste. So, wie ich mir eine Wüste vorstelle – ohne Pflanzen, dafür mit Sand und Kamelen – sieht es hier zwar nicht aus, denn ein bisschen Bewuchs ist überall zu finden (Kamele jedoch keine), allerdings wirkt die Gegend tatsächlich einsam und trocken. Und es ist heiß, sehr heiß! Trotz leichter Bewölkung steigt das Thermometer sogar bis über die angekündigten 30 Grad. Bei jedem Pausenstopp fühlt man sich wie in einem Backofen – weshalb wir diese auch recht kurz gestalten. Nur schnell ein paar Schlucke aus der Wasserflasche, ein paar Fotos machen und weiter.
Beim Fahren lassen wir die Jacken geöffnet und verzichten auf Handschuhe (auf ein Halstuch sowieso), trotzdem ist die Situation für mich schwer zu ertragen. Mir macht die Hitze deutlich mehr zu schaffen, als ich gedacht hätte. Ich bin schnell erschöpft, fühle mich ausgelaugt und überfordert – und meine Unternehmungslust und meine Laune sinken rapide, trotz der prachtvollen Umgebung, der wunderbar kurvigen Strecke und der immer wieder tollen Ausblicke. Mist! Ich denke sogar darüber nach, ob ich Marvin am Abend nicht vorschlagen sollte, die Reise vorzeitig abzubrechen und vielleicht doch lieber zu einer anderen Jahreszeit wiederzukommen…
Kurven und Kameraexperimente
Doch zuerst gilt es, das heutige Ziel zu erreichen. Ich versuche die Hitze zu ignorieren und konzentriere mich stattdessen auf das Fahren. Und auf unsere neue Helmkamera. Die kommt nämlich jetzt zum ersten Mal so richtig zum Einsatz. Wir haben das Ding ein paar Monate vor unserem Urlaub als Vorführmodell billig erwerben können (ein typischer Spontankauf – war aber echt supergünstig). Zum Filmen habe ich sie nun rechts neben meinem Visier am Helm befestigt. Die Aufnahmen können über eine Art Fernbedienung gestartet werden, die ich an meinem Lenker angebracht habe.
So ganz komme ich damit noch nicht zurecht: Wenn ich Fernbedienung und Kamera die ganze Zeit eingeschaltet lasse, kann ich zwar spontan – sobald etwas Hübsches vor uns auftaucht – die Aufnahmetaste drücken, gleichzeitig verbraucht die Kamera dann aber auch ziemlich viel Strom und der Akku hält nicht lange. Schalte ich beide Geräte jedoch ab, so muss ich immer erst blind tastend die Kamera an meinem Helm anschalten, dann die Fernbedienung, anschließend warten, bis diese sich mit der Kamera verbunden hat … und erst DANN kann ich aufnehmen. Bis dahin liegen die interessanten Streckenabschnitte meist schon wieder hinter uns. Sicherlich gibt es hier auch elegantere Vorgehensweisen, doch die kenne ich noch nicht.
Ich probiere also ziemlich viel herum und bin damit recht gut beschäftigt. Marvin jage ich einige Riesenschrecken ein, weil ich beim Rumfummeln an Kamera und Fernbedienung immer wieder so weit hinter ihm zurückbleibe, dass er jedesmal befürchtet, ich hätte einen Unfall gehabt. Nach einer Weile kündige ich es daher lieber über’s Interkom an, sobald ich wieder vorhabe, mit der Kamera zu spielen 😉
Dörfer, an den Hang geklebt
Lässt man mal die abartige Hitze beiseite, so ist die D81 durch die Désert des Agriates wunderbar kurvig, sehr kurzweilig und bietet immer wieder tolle Ausblicke über diese „Felsenwüste“. Irgendwo hier soll übrigens auch eine (Schotter-)Straße zum angeblich schönsten Strand Korsikas abzweigen. Diesen Tipp haben wir von einem anderen Korsika-Urlauber gestern erhalten, der meinte, mit unseren geländegeeigneten Motorrädern könnten wir diese Straße zum Strand wohl problemlos fahren. Uns ist aber nicht nach Zwischenstopp. Wir (insbesondere ich) wollen lieber ankommen.
Die Straßenqualität ist durchgehend erfreulich gut und lässt sich zügig befahren. Recht schnell erreichen wir die Schnellstraße T30 und cruisen ein kleines Stückchen direkt am Meer entlang. Ehe wir jedoch nach L’Île-Rousse kommen, biegen wir wieder in Richtung Berge ab. Der Umweg durch die hier zahlreich am Hang angesiedelten Bergdörfchen ist nämlich lohnenswert: Rechterhand hat man immer wieder wundervolle Ausblicke auf das Meer oder die Ebene unter uns, während die kleinen Örtchen mit ihrem ganz eigenen, knorrigen Charme verzaubern.
Uns fällt auf, dass viele Radfahrer auf diesen Strecken unterwegs sind. Wegen der teilweise wirklich sehr engen Straßen würde ich hier niemals mit einem Fahrzeug fahren wollen, das größer als ein PKW ist – aber mit dem Rad ist es bestimmt auch schön. Wenn vermutlich auch anstrengend, gerade bei der aktuell herrschenden Hitze. Ebenfalls auffällig ist, dass die Straßen hier oben teilweise in deutlich schlechterem Zustand sind – allerdings nur auf kurzen Abschnitten. Das macht das Fahren etwas abenteuerlicher, stört aber sonst nicht.
Hier das Video, das ich aus den Ergebnissen meiner Kameraexperimente zusammengeschnitten habe. Ich entschuldige mich für die laienhafte Qualität (aber ich bin ja auch ein Laie ;-)), einen kleinen Eindruck der gefahrenen Strecke kann es hoffentlich trotzdem vermitteln:
Koller in Calvi
Kurz vor Lumio erreichen wir die Schnellstraße nach Calvi und wenige Minuten später auch den von uns ausgewählten Campingplatz Paduella. Obwohl wir nur 2,5 Stunden unterwegs gewesen sind (Pausen haben wir ja kaum gemacht), bin ich fix und fertig. Ich weiß auch nicht, warum mich die Hitze so extrem belastet (vielleicht ’ne Alterssache?), aber ich kann mich kaum noch bewegen, ohne gefühlt kurz vor dem Zusammenbruch zu sein. Diese Temperaturen bringen mich um! Die leichte Bewölkung während der Fahrt hatte mir Hoffnung gemacht – aber jetzt? Der Himmel ist strahlend blau und es sieht so aus, als würde es noch tagelang so bleiben! Das schaffe ich nicht. Ich will heim – und sage das Marvin auch. Der schaut mich ungläubig an, merkt aber, dass es mir ernst damit ist. Geduldig redet er auf mich ein – jedoch erst als er mir verspricht, dass wir wirklich vorzeitig nachhause fahren, wenn es mir in den nächsten beiden Tagen nicht besser geht, beruhige ich mich.
Wir suchen uns einen schönen schattigen Platz für unser Zelt (der Campingplatz ist übrigens sehr hübsch, doch dafür habe ich gerade kein Auge), ziehen uns um und marschieren zum nahe gelegenen Strand. Das angenehm temperierte Wasser versöhnt mich etwas, ich spiele „Tote Frau“ und treibe neben dem fröhlich planschenden Marvin vor mich hin. Nachdem wir uns ausgiebig abgekühlt haben, marschieren wir zurück zum Campingplatz – und sind nach nur wenigen Metern erneut vollkommen durchgeschwitzt. Aaaarrrggh.
Endlich Gewitter
Gegen sechs Uhr knurren unsere Mägen und wir brechen auf nach Calvi, um dort ein Restaurant zu suchen. Allerdings kommen wir nicht weit, denn nun passiert das Langersehnte: In erstaunlich kurzer Zeit zieht der Himmel zu. Begleitet von einem heftigen Gewitter wird ein Ozean aus Regenwasser über uns ausgegossen. Wir laufen so schnell wir können zurück zum Campingplatz, sind aber trotzdem pitschnass, bis wir dort ankommen. Ich bin begeistert. Endlich kühlt es ab!
Nach einer Viertelstunde ist der Spuk vorbei und die Luft fühlt sich deutlich angenehmer an (Marvins Bordthermometer verrät uns später, dass es nur noch 26 Grad hat). Wunderbar! Allerdings haben wir jetzt keine Lust mehr, die 30 Minuten nach Calvi zu laufen. Wir finden aber ein angenehmes Restaurant direkt am Strand, mit gutem Essen und tollem Blick auf die Bucht. Der Urlaub ist gerettet – und ich schlafe heute Nacht sicherlich wesentlich besser!
Routenüberblick
Datum: 28. Juni 2017
Schwierigkeitsgrad: mittelschwer, angenehm kurvig, weitestgehend gute Straßenqualität
Länge: 92 km, ca. 2,5 h Fahrzeit (!)
Eindrücke: Heiß, sehr heiß – aber abgesehen davon landschaftlich wundervoll!