Morgenstund hat Gold im Mund – besonders, wenn man im eigentlich abenteuerlichen Motorradurlaub bequem im Hotelbett aufwacht und das sprichwörtliche „Gold“ dabei lecker gebackene Croissants sind, die uns am Frühstücksbuffet begrüßen. Wir befinden uns immer noch in dem netten Familienhotel in Corte und hatten auf dem tollen Bett (im Vergleich zur Isomatte im Zelt) eine sehr erholsame Nacht. Das besagte Buffet finden wir in einem Raum, der sich als gemütliche Mischung aus einem Wohnzimmer und einem Restaurant beschreiben lässt. Bei einem leckeren Vollkornbaguette (selten in Frankreich) mit Fruchtsaft und Cafe au Lait planen wir schon einmal die heutige Route.
Denn diesmal wollen wir etwas mehr Strecke zurücklegen als sonst – zumindest in Punkto Luftlinie – um bis zur Bucht von Propriano hinter Ajaccio zu kommen. Der Weg verläuft dabei fast direkt nach Süden und macht etwa die halbe Höhe von Korsika aus. Wir wissen nicht so recht, was wir dabei erwarten sollen – kamen wir doch auf Korsika bislang nie so schnell voran und haben uns durch kurvige und eher mittelprächtig ausgebaute Straßen geschlagen. Trotzdem scheint die Strecke auf der Karte auch weiterhin sehr gebirgig zu sein. Wir lassen uns einfach überraschen.
Heraus aus Corte, hinauf auf die Berge
Nach dem Frühstück holen wir erst einmal unsere Motorräder aus der Garage. Beziehungsweise: Wir versuchen es. Denn zu unserem Schock kann Anja den ihr anvertrauten Schlüssel nicht mehr finden. Na super, hoffentlich ist der gestern nicht ausgerechnet bei der Stadtbesichtigung verlorenen gegangen. Die Hotelbesitzerin lächelt nervös, als wir ihr davon erzählen, doch Anjas panische Suche zahlt sich schon bald aus und sie findet das ersehnte Stück doch noch im hintersten Fach ihres Rucksacks.
Mittlerweile brennt die Sonne schon ganz ordentlich auf uns herunter – und das in voller Motorradkluft. Wir tippen noch schnell die GPS-Daten in Günni (unser Navi) ein und machen uns geschwind auf dem Weg hinaus aus Corte, auf dass der Fahrtwind uns rette. Dafür fahren wir noch einmal durch das schöne Stadtzentrum von Corte, kommen aber schon bald über eine Brücke in einen ganz anderen, moderneren und viel größeren Stadtteil. Anscheinend haben wir bisher nur die Altstadt gesehen. Aber gut, viel verpasst haben wir sonst wohl nicht, immerhin sieht der Rest nicht annähernd so rustikal aus. Kurz darauf befinden wir uns schließlich auf der Hauptstraße hinaus aus der Stadt.
Zu unserem Erstaunen geht es dabei sofort nach dem Ortsschild wieder bergauf. Wer glaubt, dass eine Hauptverbindungsstraße in Korsika nicht trotzdem eine Bergstraße ist, der täuscht sich. Obwohl die Straße oft drei Spuren hat und super ausgebaut ist, schlängelt sie sich genauso durch die Gebirgskämme, wie die 1,5-spurigen Straßen auf dem Rest der Insel. Aus Sicht eines Motorradfahrers macht das richtig Spaß. Hier oben gibt es reichlich Kurven und tolle Aussichten über weite, bewaldete Berge, ohne die übliche Klaustrophobie von engen Straßen.
Wie auf Korsika typisch durchfahren wir hier oben auch einige Bergdörfer, in denen die Straße dann kurzzeitig doch noch einmal deutlich schmaler wird – um nicht zu sagen einspurig mit teils ordentlichen Steigungen, die wohl dem organischen Bau der Stadt geschuldet sind. Uns gefällt die Strecke dadurch aber nur noch umso mehr. Einige der Dörfer sind so schön gelegen, dass man sie mit Umgebung in einen Bilderrahmen packen könnte.
Nettes Schmanckerl für Filmfans: Obwohl Der Herr der Ringe bekanntlich in Neuseeland gedreht wurde, kam ich nicht umhin zu bemerken, dass man hier eine tolle Alternativlocation gefunden hätte. Auf einem der Hügel hier oben wurde anscheinend sogar schon einmal mit dem Bau von Edoras angefangen.
Bloß weg von Ajaccio!
Überhaupt lässt sich die Strecke heute als ungewohnt „europäisch“ beschreiben. In der folgenden Stunde führt uns die Straße immer durch dichten Wald, der willkommenen Schatten spendet. Alles auf einer modernen, gut-ausgebauten Hauptstraße, die sich immer weiter abwärts gen Ajaccio windet.
Doch wirklich ankommen wollen wir heute dort nicht. Laut Reiseführer ist Ajaccio nämlich der wohl stressigste Ort auf ganz Korsika – groß, dicht bevölkert und verstopft. Ob das wirklich stimmt, können wir hier zwar nicht sagen, aber wir machen trotzdem lieber einen mittelgroßen Bogen um die Stadt. Stattdessen fahren wir über eine Schnellstraße zwar sehr nah heran, biegen aber beim Flughafen südlich ab und schrauben uns schon bald wieder auf einen Hügel herauf – und zwar auf deutlich weniger befahrenen Straßen. Genau unser Ding!
Zumindest dachten wir uns das bei der Routenplanung noch so. Was wir damals noch nicht wissen konnten, war, dass wir uns damit den schlechtesten Straßenbelag des ganzen Urlaubs eingebrockt haben. Denn am Col de Bellavalle führt uns unser Navi auf eine Straße, die sich merkwürdig rechts von der Hauptstraße abspaltet (dem stehengebliebenen PKW vor uns nach zu urteilen sind wir hier nicht als einzigen, die über die Straßenführung verwirrt sind) und kommen auf eine Strecke, auf der wir all die Schlaglöcher finden, die wir bislang auf Korsika vermisst haben. Ach da sind sie geblieben!
Die Fahrt gleicht nicht nur von der Kulisse, sondern auch vom Schneckentempo her einem einsamen Spaziergang im Wald. Das ganze fordert viel Aufmerksamkeit und Geduld, aber nach einer Weile kommen wir Gottseidank wieder auf ordentlichen Asphalt und verlassen den Hindernisparkours ohne bleibende Schäden.
Kurze Pause bei A Baracca
Etwas erschöpft von alledem erreichen wir nun aber einen Ort, auf den wir uns schon gefreut haben: A Baracca – ein etwas unscheinbares Restaurant, das oben am Hügel mit Sicht auf die Bucht von Ajaccio liegt und uns von allerlei Internetrezensionen empfohlen wurde. Denn obwohl das Gebäude von außen ein wenig wie eine Bruchbude aussieht, soll das Essen und die Stimmung fantastisch sein. Und ein kleiner Happen mit einer Pause scheint uns jetzt genau das Richtige.
Abgestiegen vom Motorrad wuseln wir uns durch das Hauptgebäude und gelangen auf eine von Wein umrankte, schattige Terasse. Ich gönne mir hier ein paar Canneloni, während Anja das Omelett mit Ziegenkäse wählt. Anja ist mit ihrem Gericht sehr zufrieden, während ich allerdings zugeben muss, dass ich schon bessere Nudeln gegessen habe. Gerade in der lieblosen Form wirkt das Ganze doch sehr wie Mikrowellenkost. Ich schätze, hier habe ich wohl einfach das Montagsgericht erwischt – gerade auch, da viele der sonstigen Mahlzeiten, etwa auf Tripadvisor, deutlich leckerer aussehen.
Nett: Belustigt werden wir beim Essen von einem Hund, der offensichtlich zum Restaurant gehört und auf der anderen Seite des Terassenzauns großes Interesse am Geschehen zeigt. Als er dabei auch noch die Schnauze (mehr passt nicht) durch das karoförmige Muster des Zauns steckt, verschlucke ich mich bei dem absurden Bild fast an meinem Essen.
Abstecher nach Filitosa oder lieber doch nicht?
Gut gestärkt und etwas ausgeruht schwingen wir uns wieder aufs Bike und fahren die letzte Etappe bis zu unserem Ziel – der Campingplatz Ras l’Bol. Weit ist es wirklich nicht mehr und eigentlich geht es dabei nur noch bergab.
Dabei erhaschen wir noch ein paar tolle Aussichten auf die vor uns liegende Küste, bevor wir langsam über Serpentinen durch Dörfer wieder auf Höhe des Meeresspiegels ankommen und noch eine letzte Entscheidung treffen müssen: Filitosa oder nicht Filitosa? Eigentlich wollten wir heute noch einen kurzen Abstecher zur uralten Ausgrabungsstätte machen, die quasi auf dem Weg liegt. Nachdem es aber im Laufe der Strecke immer heißer wird, entschließen wir spontan, dass wir die restliche Zeit heute lieber im kühlen Nass des Meeres statt auf einem trockenen Hügel mit Motorradklamotten verbringen wollen.
Ankunft in Ras l’Bol
Zu unserem Erstaunen werden wir in Ras l’Bol nicht nur nett begrüßt, sondern sogar auf Deutsch. Die Rezeptionistin (und Besitzerin?) wechselt beim Gespräch mit uns und anderen Gästen derart fließend zwischen Französisch, Englisch und Deutsch, dass wir uns wundern, ob sie nicht mit allem gleichzeitig aufgewachsen ist. Wie immer sind wir recht früh dran und können uns auch hier den Stellplatz wieder frei aussuchen.
Der Campingplatz ist absolut riesig, quasi zu 100% von Bäumen bedeckt und hat durch den roten Boden, die offen-gestalteten Gebäude und die vielen Palmen fast schon ein afrikanisches Flair. Wirklich toll! Wir fühlen uns jedenfalls sofort wohl.
Nach dem Zeltaufbau kommen wir aber noch nicht zur Ruhe – wir wollen ja schließlich noch den Sprung ins kühle Nass wagen! Dafür müssen wir auch gar nicht weit gehen, denn das Meer befindet sich praktischerweise direkt auf der anderen Straßenseite. Merkwürdigerweise werden wir hier noch von der oben erwähnte Rezeptionistin gewarnt: Das Meer sei heute besonders stürmisch. „Umso besser!“ sagen wir voller Trotz, schließlich war unsere letzte Badeaktion im Meer von Calvi arg wellenarm.
Auf der Düne angekommen, verstehen wir dann aber, was sie meinte: Der Wind trifft uns ins Gesicht wie ein warmer Fön und die Wellen brechen nur so über den Sand herein. Obwohl der Strand gut gepflegt ist und sich hunderte Meter weit erstreckt, können wir nur ein einziges Paar erspähen, das sich ins Meer traut. Egal, jetzt sind wir schon hier, also werden wir halt das zweite Paar!
Mit Anja neben mir wage ich mich Schritt für Schritt ins kühle Nass. Der Druck der Wellen ist dabei so groß, dass ich mich wenig später wundern muss, wo Anja abgeblieben ist: Ihr hat es die Füße weggezogen und sie verschwindet mit ganzem Körper unter Wasser. Als sie kurz darauf (ein paar Meter abseits) wieder auftaucht, ist sie von oben bis unten mit Sand und Steinchen bedeckt und wirkt völlig durch den Wind. „Ich denke, ich gehe lieber raus!“ ruft sie mir entgegen, bevor sie ein paar Schritte gen Strand geht und ihr die rückläufigen Wellen erneut die Beine wegreißen und sie wieder am Sand angespült wird. Jetzt können wir uns beide ein Lachen nicht mehr verkneifen.
Ich spiele derweil noch eine Weile in den Wellen, die mich dank meiner Stämmigkeit (*hust*) nicht so sehr von den Socken hauen wie Anja. Eigentlich ganz lustig, aber irgendwann wird mir die Sache auch zu wild und wir entschließen uns, zum Campingplatz zurückzukehren, damit sich „jemand“ endlich all den Sand und die Steine abduschen kann.
Später am Abend kehren wir noch in das Campingplatz-eigene Restaurant ein und genießen zwei tolle Pizzen, dazu gönne ich mir einen Milkshake und wir beide noch einen Nachtisch. Die Auswahl an Leckereien hier ist recht groß und exotisch, ganz dem Flair des Campingplatzes entsprechend. Zufrieden fallen wir nicht viel später beide auf die Isomatte und freuen uns auf morgen: Denn dann geht es ab nach Bonifacio – die wohl schönste und berühmteste Stadt Korsikas.
Routenüberblick
Datum: 1. Juli 2017
Schwierigkeitsgrad: einfach, viele gut ausgebaute, breite Straßen
Länge: 114 km, ca. 2,5 Stunden Fahrzeit
Eindrücke: Tolle Bergaussichten von ungewöhnlich gut-ausgebauten Straßen. Später teilweise aber auch furchtbarer Straßenbelag.