Über das Erzgebirge nach Dresden – Gar nicht so wild hier im Osten

Unseren nächsten Zwischenstopp auf dem Weg nach Berlin wollen wir in Dresden einlegen. Ich bin schon sehr gespannt auf die Veränderungen in der Heimatstadt meiner Großmutter, insbesondere auf die inzwischen wiederaufgebaute Frauenkirche.

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Meine verstorbene Großmutter stammte aus Dresden. In den Kriegswirren hat es sie nach Norddeutschland verschlagen (wofür ich sehr dankbar bin), ein Teil ihrer Familie ist aber in Dresden geblieben. Als Kind, weit vor der Wende, bin ich mit meinen Eltern daher einige Male dort zu Besuch gewesen. Aus dieser Zeit lebhaft in Erinnerung geblieben sind mir die völlig übertriebenen Grenzkontrollen. Einmal zum Beispiel wurden die auf Wunsch unserer Verwandschaft mitgebrachten Super-8-Urlaubsfilme stichprobenartig von den Grenzern angesehen – nur um sicherzustellen, dass wir auch ja kein „Propagandamaterial“ einschmuggelten. Nach mehreren Stunden (!) Aufenthalt an der Grenze wurden die Filme endlich als harmlos eingestuft und wir durften weiterfahren. Dabei bin ich mir sicher, dass unsere Bilder aus Frankreich und Griechenland weit mehr Sehnsüchte in unseren Verwandten geweckt haben, als politische Propaganda es jemals geschafft hätte.

Der zweite Eindruck, der in diesem Zusammenhang in meinem Gedächtnis haften blieb, war die Farbe Grau. Als Kind habe ich die Ostzone, wie wir sie damals nannten, nur in dieser Tönung wahrgenommen. Alles war grau, die Häuser, die Landschaft, die Kleidung der Menschen, die Stimmung … nichts Buntes, nichts Auffälliges, keine Lebensfreude oder Ausgelassenheit. Ich musste immer an die grauen Herren aus dem Buch „Momo“ denken und war jedesmal heilfroh, wenn es wieder nach Hause ging.

Umso erfreuter war ich, als ich ein paar Jahre nach der Wende eine bunte, lebhafte und freundliche Stadt vorgefunden habe. Auch wenn die Frauenkirche damals noch in Trümmern lag, war doch deutlich zu merken, wie die Stadt und ihre Bewohner auflebten und durchatmeten.

Tschechiens höchstgelegene Stadt

Als wir heute vor dem Zelt frühstücken, erzähle ich Marvin von meinen Erinnerungen und meiner Neugierde, wie sich die Stadt inzwischen wohl weiterentwickelt haben mag. Und von meiner Sorge hinsichtlich der politischen Entwicklung im Osten. Würde man davon etwas merken? Vor meinem inneren Auge tauchen grimmige, hasserfüllte Gesichter auf. Hatte sich die Gegend womöglich wieder zurückentwickelt in die graue, deprimierte Welt vor der Wende – nur diesmal rechts, statt links? Ich hoffe nicht!

Nach dem Frühstücken und Packen geben wir bei Günni die Adresse des Campingplatzes in Dresden ein, stellen auf „Autobahnen vermeiden“ und fahren los. Die Route durch Tschechien ist erfreulich hübsch. Kurvige, gut ausgebaute Straßen, nicht allzu viel Verkehr, eine schöne, meist waldige Landschaft – was will das MotorradfahrerInnen-Herz mehr? Die letzten Kilometer vor der Grenze schraubt die Straße sich sogar recht weit in die Höhe und die Umgebung sieht nach Skigebiet aus. Erst im Nachhinein entdecke ich, dass wir gerade an Gottesgab vorbeifahren, einem bedeutenden Wintersportzentrum im Erzgebirge und gleichzeitig Tschechiens höchstgelegene Stadt. Als wir gleich danach die Grenze nach Deutschland erreichen, machen wir kurz Halt. Wir haben noch tschechische Kronen in der Tasche, die wir zurücktauschen wollen. Zudem entdecken wir, dass das Grenzrestaurant Oblaten anbietet – und kaufen so viele Packungen, wie in meinen Tankrucksack passen 🙂

Angenehmes Erzgebirge

Der weitere Weg durch den deutschen Teil des Erzgebirges überrascht uns angenehm. Die Orte sind durchgehend hübsch und sehr gepflegt, keine Spur von grauer Tristesse oder deprimierten Menschen – alles wirkt völlig „normal“. Es fühlt sich gut an, wenn die eigenen Vorurteile auf so angenehme Art widerlegt werden. In einem kleinen Ort mit dem etwas umständlichen Namen Ehrenfriedersdorf machen wir eine kurze Pause und kaufen etwas Gebäck. Von hier aus sind es noch ca. 100 km bis zum Ziel, es sollte also schnell gehen.

Und tatsächlich – punktgenau in der Mittagspause der Rezeption erreichen wir den Campingplatz in Dresden-Mockritz. Der Platz ist überraschend voll und wir finden mit Müh und Not ein angenehmes Plätzchen auf der Zeltwiese. Ein Platznachbar erzählt uns, dass wir noch Glück gehabt hätten. Heute erst wären wohl Heerscharen niederländischer Camper abgereist, die bisher den Platz fest in feierlauniger Hand gehabt haben, lautstark bis in die Nacht. Dankbar blicken wir auf die Nachzügler, die soeben noch dabei sind, den Platz zu verlassen, sowie auf den Haufen leerer Flaschen, der sich unter einem Pavillon stapelt, und sind in der Tat froh, erst heute hier angekommen zu sein.

Die für Deutschland schon seit ein paar Tagen angekündigte Hitzewelle macht sich inzwischen bemerkbar, die Sonne scheint grell vom Himmel und ich schäle mich verschwitzt aus meinen Motorradklamotten. Als ich duschen gehen will, stelle ich fest, dass das nur mit einer Duschmarke möglich ist – die man wiederum in der (gerade geschlossenen) Rezeption erwerben kann. Grmpf. Ich marschiere zurück zum Zelt und will meinem Unmut Luft machen, als Marvin sagt, er hätte einen Automaten für die Marken gesehen und mir auch gleich eine besorgt, der Liebe :). Einen kleinen Rest Gegrummel behalte ich jedoch bei, weil ich mich ärgere, dass die Duschen hier nicht im Preis inbegriffen sind. Sowas kenne ich von deutschen Campingplätzen eigentlich nicht. Doch auch das stellt sich kurz darauf als unbegründet heraus. Als die Rezeption wieder geöffnet hat und ich uns anmelde, drückt mir die furchtbar herzliche Angestellte des Campingplatzes eine Handvoll Marken für die Dusche in die Hand – die ich jetzt nicht mehr brauche, weil ich das ja schon erledigt habe. Na gut. Vielleicht doch ganz in Ordnung, dieser Platz hier 🙂

Dresdner Innenstadt – geballte Geschichte

Nachdem die Anmeldeformalitäten erledigt sind, brechen wir auf in die Stadtmitte. Die Rezeptionistin hat uns noch mit umfangreichem Zettelmaterial zu den Bus- und Straßenbahnlinien und Tipps für den Fahrkartenkauf versehen (Tageskarte ist günstiger als Einzelkarte). Dermaßen ausgerüstet finden wir die Straßenbahnhaltestelle recht schnell (es gibt auch eine Bushaltestelle nahe des Campingplatzes, aber die Busse fahren nicht allzu häufig). Die Fahrt in die Innenstadt ist kurzweilig, es erinnert nichts mehr an die graue Stadt von einst. Am Postplatz steigen wir aus und machen uns auch gleich auf Besichtigungstour. Der Zwinger, die Semperoper, der Fürstenzug – mit Details zur Geschichte dieser Sehenswürdigkeiten verschone ich euch (das bekommt jeder Reiseführer besser hin), aber soviel sei gesagt: Dresden kleckert keinesfalls mit imposanten Gebäuden und es macht viel Spaß, das alles zu besichtigen. Nur die neu errichtete Frauenkirche enttäuscht mich etwas. Die innen vorherrschende pastellige Farbgebung ist so überhaupt nicht mein Geschmack… da gefiel mir der verkohlte Trümmerhaufen, den ich nach der Wende besichtigt habe, fast besser – war er doch ein tief beeindruckendes Mahnmal für die Zerstörungskraft des Krieges.

Ein denkwürdiger Nachtisch

Am späten Nachmittag haben wir schließlich genug von Historie und suchen uns einen Ort zum Einkehren. Wir entscheiden uns für das Enchilada in der Wilsdruffer Straße, weil uns irgendwie nach Mexikanisch ist. Zudem sitzt man hier angenehm im Schatten, die Bedienung ist freundlich und das Essen gut. Nach der Hauptspeise wollen wir noch einen Nachtisch – und entscheiden uns leichtsinnigerweise für das „Dulce grande“. Dass „Dulce“ süß bedeutet und „grande“ groß, ist uns durchaus bewusst. Das plötzliche Grinsen des Kellners bei der Bestellung hätte uns jedoch misstrauisch machen sollen – und als er schließlich den Teller serviert, sind nicht nur wir überrascht, sondern auch sämtliche Gäste um uns herum. Die Nachtischplatte ist nicht nur groß, sie ist geradezu riesenhaft! „Dulce gigante“ wäre die passendere Bezeichnung gewesen. Nach zweimaligem Nachladen meines Desserttellers gebe ich auf. Es schmeckt großartig, aber ich kann nicht mehr. Nicht jedoch Marvin. Wenn er etwas nicht leiden kann, dann Speisen, die nicht aufgegessen werden. Also kämpft er sich wacker weiter durch das Spritzgebäck, die süßen Tortillas, das Eis, die Sahne und die Brownies … und gewinnt schließlich die Schlacht, wenn auch nur knapp.

Danach sind wir zu nicht mehr viel fähig. Wir schleppen uns in ein Einkaufszentrum, kaufen noch ein paar Dinge für das morgige Frühstück, plumpsen in die Straßenbahn und lassen uns zurück Richtung Campingplatz karren. Nachdem wir es schließlich geschafft haben, vor unser Zelt zu kriechen, verbringen wir den Rest des Abends mit Faulenzen und Verdauen. Also, Dresden hat unseren „Na, isses hübsch hier?“-Test schon mal bestanden 🙂

Routenüberblick

Datum: 22. Juni 2019
Schwierigkeitsgrad: leicht
Länge: 230 km , ca. 3,5 h
Eindrücke: erste Hälfte sehr schön, zweite Hälfte eher langweilig