Kurashiki: Malerisches Bikan-Viertel

Ab jetzt dreht sich unsere Reiserichtung um und wir arbeiten uns langsam zurück in Richtung Tokyo. Unseren heutigen Aufenthalt haben wir in der Stadt Kurashiki gebucht, die für ihr gut erhaltenes historisches Viertel bekannt ist.

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Dank der superschnellen Shinkansen wäre es zwar problemlos möglich, erst auf den letzten Drücker vor unserer Heimreise vom Süden Japans nach Tokyo zurückzufahren, allerdings entspricht das nicht unserer „Lieber viel zu früh da sein“-Devise. So vieles könnte die Rückfahrt verzögern: Taifune, Erdbeben, Tsunamis, unpünktliche Züge. OK, zugegeben – das Letztere kommt hier nicht vor – aber die ersten drei Ereignisse gibt es in Japan dafür relativ häufig.

Außerdem empfinden wir es als verpasste Gelegenheit, einen ganzen Tag ausschließlich im Zug zu verbringen. Dann lieber immer nur wenige Stunden und am jeweiligen Zielort noch etwas besichtigen. Häufig genügt ja ein halber Tag, um einen guten Eindruck von einem Ort zu bekommen. Also haben wir nach einem solchen Ziel in entsprechender Entfernung von Hiroshima gesucht – und Kurashiki gefunden.

Frühe Ankunft, wie geplant

Es gibt keine Shinkansen-Direktverbindung, wir müssen am Bahnhof von Okayama in den Regionalzug umsteigen. Inzwischen sind wir diesbezüglich jedoch Profis und bereits mittags erreichen wir Kurashiki.

Das historische Bikan-Viertel – eines der wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Ortes – befindet sich nur wenige Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Und unsere Unterkunft – das Hostel Cuore Kurashiki – liegt mittendrin. Als wir dort eintreffen, ist unser Zimmer wie erwartet noch nicht bezugsbereit. Wir deponieren also lediglich unser Gepäck und machen uns sogleich an die Besichtigung des Viertels.

Ein weiteres Venedig

Weltweit gibt es zig Orte, die als „Venedig von …“ gelten. Das Bikan-Viertel ist das von Japan. Auch wenn sich innerhalb des Viertels gerade mal ein einziger Kanal befindet, so fahren doch zumindest eine Art Gondeln auf ihm. Das war es allerdings auch schon mit der Venedig-Ähnlichkeit – aber schön ist es hier trotzdem. Sehr sogar.

Kurashiki war früher eine bedeutende Handelsstadt und hier, neben dem Kanal, stehen noch viele der alten Lagerhäuser. Inzwischen sind dort Restaurants, Souvenirläden und auch viele Klamottenläden untergebracht (der Ort ist für die hier hergestellten Jeansstoffe und -kleider bekannt). Marvin und ich probieren einiges an, müssen aber erneut feststellen, dass es so gut wie nichts in unserer Größe gibt. Schade, denn einige der Sachen sind wirklich hübsch.

Aber auch so macht es Spaß, durch die Gassen zu schlendern und alles zu erkunden. Am frühen Nachmittag bekommen wir Hunger und im Plastikessen-Aushang eines eher unscheinbaren kleinen Restaurants meinen wir einige Tofu-Gerichte zu erkennen. Also nichts wie hinein!

Fifty Shades of Tofu

Zuerst scheitern wir fast an der Sprachbarriere, bis sich ein Mann vom Nachbartisch freundlich einmischt. Er kommt – wie er uns auf Englisch erklärt – aus Australien, lebt aber schon viele Jahre als Reiseführer hier in Japan. In fließendem Japanisch erklärt er der Betreiberin des kleinen Lokals, was wir gerne hätten (bzw. nicht hätten – nämlich Fisch oder Fleisch). Zwei junge japanische Frauen an einem weiteren Tisch kommen ebenfalls noch mit einigen Anmerkungen zu Hilfe, und es entspinnt sich ein fröhliches Gespräch, das zum Schluss das gesamte Restaurant mit einbindet.

Als Ergebnis serviert man uns kurz darauf zwei Tafeln mit einem halben Dutzend unterschiedlichen Tofu-Gerichte – eines köstlicher als das andere. Ich bin begeistert – sowohl vom Essen als auch von dem schönen Kommunikationserlebnis!

Den freundlichen Australier samt Begleitern treffen wir übrigens später noch mehrmals in den Gassen von Bikan und grüßen uns jedesmal grinsend.

Neue und altbekannte Gesichter

Überhaupt scheint heute der Tag der Begegnungen zu sein, denn als wir vollgefressen das Lokal wieder verlassen, werden wir kurz darauf am Rand des Kanals von einem Mann angesprochen. Er fragt uns freundlich, ob wir aus Deutschland kämen (Wie kommt er nur darauf?), und als wir bejahen, redet er voller Freude auf Deutsch weiter. Er käme ebenfalls von dort, aus der Nähe von Iserlohn, sei aber vor einigen Jahrzehnten auf seiner Japanreise hier „hängengeblieben“. Soll heißen, er hat sich verliebt, hat geheiratet und ist in Japan sesshaft geworden. Er wäre schon 65 Jahre hier (also muss er über 80 sein – was mich sehr verblüfft, da er deutlich jünger wirkt) und nach wie vor glücklich, aber hin und wieder freue er sich einfach, mit ein paar Menschen in seiner Muttersprache sprechen zu können.

Wir tun ihm gerne den Gefallen und unterhalten uns noch eine Weile mit ihm, ehe wir uns schließlich verabschieden. Doch nur einige Minuten später werden wir erneut angesprochen. Diesmal ist es eine japanische Familie, die mit uns zusammen zu Gast im Roku-Hostel in Hiroshima gewesen ist. Das Gelächter ist groß, weil wir uns heute über hundert Kilometer weiter östlich im Bikan-Viertel über den Weg laufen. Japan ist kleiner als man denkt 🙂

Am Abend eine andere Welt

Schließlich schaffen wir es doch noch zu unserer Unterkunft. Das Zimmer, das wir beziehen, stellt sich eher als Appartement heraus. Nicht nur ist es besonders geräumig, es hat sogar in einer extra Nische eine kleine Einbauküche. Sehr schön! Wir breiten uns gleich mal aus, duschen und machen ein Verdauungsnickerchen.

Am Spätnachmittag treibt es uns wieder auf die Straße. Wir wollen noch etwas für das Abendessen einkaufen, doch erleben wir hautnah das Phänomen, von welchem wir schon gehört haben: Mit dem Einbrechen der Dunkelheit (gegen 18 Uhr) leeren sich in Japan die Touristen-Hotspots schlagartig. Sämtliche Geschäfte machen zu und das Gebiet wirkt wie ausgestorben.

Das hat hier im Bikan-Viertel seinen ganz eigenen, bezaubernden Reiz. Wir wandern durch die menschenleeren und nur spärlich beleuchteten Gassen und können uns auf einmal sehr viel besser vorstellen, wie es hier damals in der Edo-Zeit gewesen sein mag. Nur zu Essen finden wir nichts.

Erst als wir den Rand des historischen Viertels erreichen, landen wir wieder in der Moderne. Mit hellem Neonlicht, vielen Menschen und gleich mehreren geöffneten Konbinis.

Wir decken uns mit ausreichend Proviant ein, dann verkriechen wir uns in unserem Zimmer. Bei einem guten Buch und leckeren Knabbereien lässt es sich den Abend gut verbringen 🙂

Überblick

Datum: Montag, 09. Oktober 2023
Unterkunft: Hostel Cuore Kurashiki